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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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des Handwerks werden allerdings in demselben Text nur wenig später überraschend konterkariert, »denn mein Großvater war nicht nur ein großer Entlarver, sondern vor allem ein großer Verhüller, er nähte aus Leidenschaft und Hingabe, ein herrlicher, ehrgeiziger Versteckspieler. Um die Dinge verstecken zu können, muss man wissen, wie sie beschaffen sind. Erst dann kommt die Frage: Wie kleidet man ein? Wie korrigiert man die kleinen Missgriffe Gottes? Wie verbirgt man Buckel und runde Rücken, schiefe Schultern, dicke Bäuche und krumme Beine? Mein Großvater war Schneider, er wusste genau, wie das geht, weil er ein gnädiger Künstler war, der verbesserte, was sich verbessern ließ, und der, weil er alles sah, genau wusste, wie man das Auge betrügt. Diese Gabe war sein Gewinn und sein Fluch, denn er selbst saß den Illusionen nicht auf, sein eigenes Auge ließ sich nicht täuschen. (…)«
    Am Ende inszeniert die Autorin sich selbst, indem sie vom Handwerk zum Schreibhandwerk übergeht: »Wenn man weiß, wie die Dinge beschaffen sind, hat man plötzlich Lust, sie neu einzukleiden, die Missgriffe Gottes zu korrigieren und schreibend ein bisschen den Schöpfer zu spielen. Für den Fall, dass mich Übermut dabei erfasst, fühle ich deutlich die Hand des Schneiders, der prüfend zwischen zwei Fingern den Stoff reibt.«
    Hoppes Verbindung von Echthandwerk und Schreibhandwerk gibt vor allem Aufschluss darüber, wie wenig Unterschiede sie in ihrer Arbeit zwischen Sein, Schein und Bedeutung macht, zwischen Konkretem und Abstraktem, zwischen dem Tun und dem Sprechen darüber. Eine Haltung, die nicht folgenlos bleibt, was die Interpretation eines Werkes betrifft, das sich auf den ersten Blick scheinbar ganz der Metapher und dem Symbol verschrieben hat. Auf den zweiten Blick allerdings offenbart sich, dass wir es hier mit einem (zweifelhaften) Versuch der Rückgewinnung zu tun haben, mit dem Versuch nämlich, die literarische in die wirkliche und die wirkliche in die literarische Welt zu überführen, in anderen Worten, den Unterschied zwischen Leben und Literatur aufzulösen.
    Ein Versuch, der genauso misslingt wie die immer wieder angestrebte Familienzusammenführung. Es scheint Hoppe schwerzufallen, sich damit abzufinden, dass die Welt aus verschiedenen Welten besteht und dass sich die »kleinen Missgriffe Gottes« nicht nach Belieben korrigieren lassen, wobei sie sich jederzeit, vermutlich ohne es selbst zu merken, durch ihr eigenes Werk korrigiert, in dem sich am Ende auch die rigorose Großmutter nicht durchsetzen kann, weil die Anziehungskraft des Lebens weit stärker ist als seine imaginierte Bedrohlichkeit: »Sie (die Großmutter/fh) schnitt uns die Haare nach eigener Art, mit stumpfer Schere kreuz und quer, wer wollte schon schön sein bei solchem Wetter. Sie verhängte die Fenster mit schweren Tüchern, wenn die Friseure vorbeizogen, und nagelte Bretter vor die Tür. Aber wir entwischten durch den Keller und hörten sie hinter uns keifen, als wir die Straße hinunterjagten.« Obwohl Hoppes literarische Großmutter weit besser als ihre Autorin und deren Großvater weiß, dass es das viel beschworene Happy Ending nur in Hoppes Libretti gibt, kann sie ihre Enkel beim besten Willen nicht davon abhalten, aufzubrechen und sich auf den Weg in ein anderes, unberechenbares Leben zu machen.
    Und plötzlich tritt jene Stille ein, die Biographen bekanntlich seit jeher beunruhigt, weil sie so schlecht recherchierbar ist. Hier seht ihr mich (hier meint fh offenbar sich selbst/fh), aber wo steckt Felicitas? Vermutlich sitzt sie, nachdem Viktor endlich abgereist ist, immer noch im Frühstücksraum einer Pension mit Zweibettzimmer und Hafenblick und schmiedet leichtfertig Pläne, während es draußen ununterbrochen weiterschneit, womöglich für immer und wenn das nicht, dann wenigstens so lange, bis der Weg zum
Roten Krebs
unter einer dicken weißen Decke verschwindet, wie sowieso allmählich alles verschwindet, was draußen zu sehen gewesen wäre, weil alles, egal wie schwer oder leicht, längst im Begriff ist, in fallende Flocken verwandelt zu werden, erst der Hafen, dann das
Red Crab Inn
mit Cater und Fox (eine hinkende Spur im Schnee, die schon zwei Zeilen später auch nicht mehr da ist), dann Brooklyn und die Stadt New York City und die ganze Welt mit Hameln und Brantford und Klępsk. Sogar Adelaide verschwindet und die Oper von Sydney, bis auch der letzte Taktstock erschöpft in den Schnee fällt und die ganze Musik für

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