Hoppe
immer verstummt. Kein Pult mehr, keine Richter, kein Kommentar und kein Tadel. Nicht nur, dass nichts mehr zu sehen ist, es ist auch nichts mehr zu hören, nur irgendwo in der Ferne das leise Klingeln des letzten Pucks, den irgendein Blinder, nach einer kurzen und fast vollkommenen Pause, über das ferne kanadische Eis schiebt, bis auch der Puck verstummt, weil er für immer im Tor ist, das es nicht gibt, so wie es auch keinen Ton mehr gibt, es ist endlich für immer totenstill.
Still wie die Stille, von der nichts erzählt werden kann, weil es in ihr kein Draußen und Drinnen mehr gibt, sondern nur noch Felicitas. Und da sitzt sie also und schürt das Feuer und raucht die letzte Zigarette (die letzte aus dem Vorrat von Phyllis, danach wird die Schachtel für immer leer sein) und schmiedet Pläne, weil man, wie Phyllis immer zu sagen pflegte (und Lady Ayrton hat es bestätigt), weil man das Eisen schmieden muss, solange es heiß ist.
»Im Schmieden von Plänen«, erzählt Viktor Seppelt Jahre später, »war sie die Größte (lacht), sie konnte Stunden, manchmal ganze Tage damit zubringen, eine Idee an die nächste zu reihen. Sie schmiedete Pläne, wie sie Listen und Libretti schrieb, sie hatte einfach zu viele davon, konnte sich niemals entscheiden. Und weil sie sich nicht entscheiden konnte, tat sie am Ende irgendwas, das garantiert auf keiner der Listen stand. Sie war immer auf Überrumpelung aus, reine Gratwanderei, vollkommen unvorhersehbar, was sie als Nächstes tun würde. Anfangs dachte ich, sie führt mich an der Nase herum, will mich verwirren, foppen, was weiß ich. Bis ich drauf kam, dass sie mich gar nicht verwirren wollte, es geht ja gar nicht um mich, sie will ja bloß sich selbst überraschen, einfach blind in die Trommel greifen.
Sie zog Lebensprogramme, wie andere Karten legen oder Lose ziehen, ein Glücksspiel der besonderen Art, Lotto, sagte sie, ist für Kleingeister und Blöde, in Wahrheit geht es immer ums große Format. Keine Ahnung, was für ein Format sie meinte, Prahlhanserei wahrscheinlich. Kann auch sein, sie wollte einfach für Unordnung sorgen, damit die Schrift endlich aufhört, sich zu erfüllen, damit am Ende auf nichts mehr Verlass ist. Ständiger Richtungswechsel, überraschende Angriffe, manchmal schräg von der Seite, manchmal von hinten, dauernde Unberechenbarkeit. Das Einzige, worauf bei ihr wirklich Verlass war, waren ihre Ausreden, die waren immer dieselben, immer sagte sie: Was bleibt mir schon übrig, oder: Ich habe doch gar keine andere Wahl. Schöne Sätze aus dem Mund einer Frau, die selbstverständlich immer die Wahl hat, die große Qual der tausend Talente.«
Spricht hier ein Liebender oder womöglich doch nur ein verprellter Liebhaber? Hatte Hoppe, die ihre Protagonisten in der Regel auf weniger fröhliche als verzweifelte Wander- und Pilgerschaften und Expeditionen schickt, wirklich die Wahl? Ihre Geschichte
Die Handlanger (Picknick der Friseure)
spricht eine andere Sprache: »Kein Zweifel, mein Geliebter will nicht mehr Hand an mich legen, und es ist Zeit, dass ich mich nach neuen Handlangern umsehe.« Die Protagonistin taumelt von einer Zufallsbekanntschaft zur nächsten, um schließlich, nach diversen Zwischenstationen bei Gärtnern, Wirten und Kellnern, in den Armen des Dirigenten eines Kurparkorchesters zu landen, »der abends gegen zehn den Taktstock aus der Hand legt, um die Leere meiner Rede durch entschlossenes Tun auszufüllen«. Der Versuch, leeres Gerede durch entschlossenes Tun zu ersetzen
(Durch Tun zum Tun)
, kennzeichnet Hoppes gesamte Prosa, macht ihre Protagonisten aber nicht glücklicher, deren Handlungen über weite Strecken in unkoordinierten Bemühungen steckenbleiben. Trotzdem geben sie nicht auf, sie laufen, rennen, reisen und stolpern weiter, getrieben von einem auf merkwürdige Weise unbestimmten Durchhaltewillen: »Hauptsache, wir kommen voran.«
Ob Hoppe selbst vorankam, lässt sich kaum sagen. Sicher ist einzig, dass sie die achtziger Jahre fast ausschließlich in den USA verbrachte, dabei ständig in Bewegung war (»flüchtiger als ein Säckchen Helium«) und, wie der Briefwechsel mit Viktor Seppelt belegt, sich ständig an anderen Orten aufhielt. Dabei war sie nachweislich nicht auf der Suche nach neuen »Handlangern«, sondern auf der unermüdlichen Suche nach ihrem verschwundenen Vater. Eine Suche, die sich »im Land der unbegrenzten Möglichkeiten« offenbar als schwierig und mühsam erweist: »Wie soll ich ihn jemals finden
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