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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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in diesem Sumpf unablässiger Möglichkeiten und Erfindungen? Was ist das überhaupt für ein Land, in dem es von Patentagenten nur so wimmelt, obwohl es gar keine Königin gibt, der sie dienen könnten, weshalb alle auf nichts anderes aus sind, als sich andauernd selbst zu krönen, so dass man förmlich umzingelt ist von lauter Selbsterfindern und Königen, von lauter Versuchen einer höchst privaten Regierung. Also muss ich mir, wenn ich vorankommen will, die Krone jeden Tag selbst aufsetzen. Aber wie krönt man richtig?«
    Die Briefe an Viktor sind allerdings selten und abgesehen von Hoppes lebenslänglicher Nachlässigkeit, was Ortsangaben und Datierungen betrifft, so verspielt, anspielungsreich und verschlüsselt, dass sie kaum brauchbar sind, wenn es darum geht, ihre »große amerikanische Tournee« (Hoppe) faktisch zu rekonstruieren. Dafür sind sie, wo nicht glaubwürdig (und das sind sie so gut wie nie), immerhin abwechselnd gedankenschwer und amüsant. So schreibt Hoppe zum Beispiel (vermutlich) im Frühsommer 1984 einen Brief aus Chittenango (Upstate New York), in dem sie vorgibt, damit beschäftigt zu sein, als »Maskenverwalterin« und »Paradespezialistin« eine Choreographie für das dort alljährlich im Juni stattfindende große
Festival of OZ
vorzubereiten (Chittenango ist der Geburtsort Frank Baums, des Schöpfers von
The wonderful Wizzard of Oz/Der Zauberer von Oz
/fh): »Du hast es gut da hinten in Adelaide, wo Du im Warmen sitzt und diesen Ludwig Leichhardt in Gestalt eines gewissen Voss inszenierst, einen Mann, den es wirklich gegeben hat, während ich am anderen Ende der Welt im Gegensatz zu Dir damit beschäftigt bin, nichts als eine Fiktion zu verwalten, einen über die Maßen lächerlichen Zauberer, von dem man schon auf der ersten Seite weiß, dass er alles kann, bloß nicht zaubern, der also nichts ist als der Traum eines Traums, nichts als reine Erfindung, die sich aus den kümmerlichen Kornkammern von Parallelwelten speist, damit sich wieder und wieder erfüllt, was über den Zauberer von OZ geschrieben steht.
    Aber tatsächlich (und ganz unter uns) kann es natürlich nichts Schlimmeres geben als ein Buch, das plötzlich Wirklichkeit wird, und umso schlimmer, wenn es das Einzige ist, was die ganze Gegend ernährt. In dieser kleinen traurigen Stadt, deren einziger Zauber in ihrem Namen liegt (ich habe gerade damit begonnen, ein Libretto titels
Chittenango
zu schreiben!), in der es nicht mehr als eine verlorene Kirche und eine auf düstere Weise gradlinige Hauptstraße gibt, ist, seit man den
Zauberer
verfilmt hat (
The wonderful Wizzard of Oz
wurde 1939 mit Judy Garland in der Rolle der Dorothy verfilmt/fh), die Zeit schlicht und einfach stehengeblieben, denn mehr als einen Film gibt die Gegend nicht her, nichts und niemand mehr lebendig, alles halbtot, wie erstarrt unter Eis.«
    Und sie fährt fort: »Nur einmal im Jahr, im Mai oder Juni, erhebt sich diese seltsame kleine Stadt wie ein schlechter Ableger von Atlantis, wie das letzte und hässlichste Dornröschen von allen erwacht sie plötzlich aus ihrem ewigen Tiefschlaf, ohne jemals wirklich geküsst worden zu sein, und wird auf verstörende Weise lebendig, indem sie all ihre Untoten einlädt: den Zauberer von OZ , die böse Hexe (
The wicked Witch
/fh) und all ihre Diener und Handlanger, die an einem kurzen traurigen Wochenende aus allen Himmelsrichtungen in die Stadt strömen, um wenigstens kurzfristig zu vergessen, dass man hier von nichts als von der Erinnerung lebt, von der Erinnerung an eine große Zeit, an einen Zauber, der schon damals nicht groß genug war, um ihre Bewohner aufzuwecken. Denn wären sie jemals lebendig gewesen, dann lebten sie heute noch, ganz wie im Märchen. Nur dass Chittenango kein Märchen ist, sondern bloß der Schatten des Märchens, kein Traum, sondern ein Albtraum, bevölkert von hungrigen Vampiren, für die dieses Land zu Recht so berühmt ist, weil sie sich schadlos an jenen halten, die von Natur aus die Kleinsten sind, an den Zwergen und Liliputanern, die auf immer dazu verdammt sind, mit der Nase unter der Gürtellinie derer zu leben, die ihnen Gastrecht gewähren.«
    Mit den Zwergen und Liliputanern sind vermutlich nicht nur die Bewohner aus Frank Baums
Munchkin Land
und ihre entsprechenden Darsteller im Film gemeint, von denen die wenigen, die bis heute noch leben, alljährlich zur berühmten kostümierten Morgenparade nach Chittenango zurückkehren, sondern »insgesamt alle, die für dieses

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