Hordubal (German Edition)
finden, und wenn nicht, so setze ich mich hier oben hin und warte, warte bis zum Abend. Warum nicht – wie lange lebt der Mensch? Wozu, ich bitte dich, sollen zwei Ameisen einander im Wege sein, es ist doch Platz genug da, man kann nicht mal begreifen, woher so viel davon kommt: und ich – kann auch von ferne zusehen. Gottlob, es gibt hier Hügel genug, von wo der Mensch nach Hause schauen kann. Er kann dem Schöpfer bis auf den Kragen klettern und auf sich selbst herunterschauen. So wie die Wolken steigen – und wie ein Hauch zerfließen.
Schon läuten die Herden den Abend ein und Hordubal sitzt auf dem Thymianrain mit einem Erdbeersträußchen in der Hand und schaut hinunter auf das neue rote Dach. Auch der Hof ist wie eine Handfläche zu sehen; Hafia hier heraufzunehmen und ihr zu zeigen – guck, Hafia, ist das nicht wie ein Spielzeug. Auf den Hof tritt eine winzige helle Gestalt und steht, steht. Und da, siehe, kommt auch aus dem Stall eine dunkle Gestalt heraus, geht zu ihr und bleibt gleichfalls stehen. Und sie rühren sich nicht – wie Spielzeug. Ameisen würden die Fühler bewegen und herumlaufen, die Menschen aber sind wunderlicher: sie stehen einander gegenüber und tun nichts. Wozu wissen, denkt Hordubal; aber seltsam, daß sie so lange, so regungslos stehn; es wird einem fast bange – schrecklich, daß sie so ohne Regung stehn. Und das soll der Friede gewesen sein, Juraj, den du dir von droben mitgebracht hast? Diese Schwere, die dich erfüllt? Du hast dort zu viel geschöpft von etwas, und es ist Trauer; du hast die Arme ausgebreitet, und nun trägst du ein Kreuz. Und die beiden dort unten stehen – stehen – ach Jesus, sie sollten sich schon rühren! Und da hat sich die lichte Gestalt losgerissen und ist verschwunden; die dunkle steht, rührt sich nicht, und ist, Gott sei gelobt, schon weg.
Mit einem Erdbeersträußchen kehrt Hordubal heim – er hat nichts als dieses Sträußchen, und er wird es noch auf dem Hof vergessen. Vier Menschen am abendlichen Tisch; beinahe möchte er anfangen, ich habe ein Reh gesehen, Hafia, aber er sagt es nicht, die Worte wachsen ihm im Mund wie Bissen, Polana ißt nicht, bleich, wie aus Bein geschnitzt, Stefan blickt finster in den Teller, verzieht den Mund, zerbröckelt das Brot in den Fingern, wirft plötzlich das Messer hin und rennt hinaus, wie ein Erstickender.
»Was fehlt Onkel Stefan«, haucht Hafia. Polana schweigt, sammelt die Teller, ganz bleich, ihre Zähne klappern. Und Hordubal schleicht zu den Kühen, die Kahle wendet den Kopf nach ihm, daß die Kette rasselt, was ist, Gazda, warum atmest du so laut? Ech, Kahle, wozu wissen – wozu wissen – aber es ist schwer, schwerer als eine Kette. Dort oben würden wir mit der Glocke läuten, du und ich – wieviel Platz gibt es dort, selbst Gott hat dort Raum genug; aber unter den Menschen ist es drückend; zwei – drei Menschen, Kahle, und so drückend zwischen ihnen! Hört man denn nicht ihre Ketten klirren?
XI
Besoffen hat sich Manya in dieser Nacht, wie ein Vieh hat er sich besoffen; nicht hier in Krivá, sondern ganz weit in Toltschemesch beim Juden, mit den Burschen hat er sich herumgeschlagen und, so sagt man, auch herumgestochen, wer weiß; erst in der Frühe ist er zurückgekommen, aufgedunsen und zerschunden, und jetzt holt er im Stall den Schlaf nach. Man sollte die Pferde tränken, denkt Juraj, aber ich werde mich nicht in deine Angelegenheiten einmengen. Wenn man mit den Pferden nicht reden soll, dann gut; betreu du sie selber. Und Polana – wie ein Schatten, besser, sie nicht zu sehn. Ja, das sind so Sachen, meint Hordubal betrübt; was tun?
Und schwül ist es, schwül wie vor einem Gewitter, die Fliegen ärgern, ach, ein ekelhafter Tag! Juraj schlendert in den Garten hinter der Scheune; aber auch dort ist es so – was dort? Nur lauter Brennesseln, und wozu die vielen Scherben, dieser Zigeunerunrat – –. Wie ein Schatten ist Polana; hockt in ihrer Kammer und nichts – Gott mit dir; aber weißt du, schwer wird es einem hier. Hordubal fährt sich sorgenvoll über das feuchte Genick. Je nun, wir kriegen ein Gewitter, Stefan sollte das Heu hereinschaffen. –
Hordubal klettert über den Zaun und geht hinten ums Dorf, um am Himmel Ausschau zu halten. Das Dorf von hinten – als wenn man einen Tisch von unten her betrachtet, lauter rauhes Holz und Leisten; und als wenn einen niemand sähe, als wenn man mit der ganzen Welt Verstecken spielte; nur Zäune und Klettersträucher, der
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