Hornblower 05 - Der Kapitän
zu aufgeschlossen. Selbst der wetterharte Bush zeigte überraschenderweise die gleichen Merkmale in der gleichen Reihenfolge. Nur der arme Galbraith blieb bis zuletzt ein wenig schüchtern.
Hornblower staunte über die Leichtigkeit, mit der Lady Barbara diese Männer zu nehmen verstand. Seine Maria wäre viel zu linkisch gewesen, die Gesellschaft zum Auftauen zu bringen. Da Hornblower nicht viele Frauen kannte, neigte er dazu, sie alle mit Maria zu vergleichen. Die jugendliche Überheblichkeit Clays dämpfte Lady Barbara mit einem Lachen, aufmerksam lauschte sie Bushs Bericht von Trafalgar. Er hatte an der berühmten Seeschlacht als Unterleutnant an Bord der Temeraire teilgenommen. Dann gewann sie Galbraiths Herz ganz, denn sie kannte sehr gut eine bemerkenswerte epische Dichtung. Ein Edinburgher Rechtsanwalt namens Walter Scott hatte sie verfaßt, sie hieß The Lay of the Last Minstrel . Galbraith konnte das Werk, das er für das größte in englischer Sprache hielt, Wort für Wort auswendig sprechen. Er bekam ganz rote Wangen vor Freude.
Hornblower behielt seine eigene Meinung für sich. Sein Lieblingsautor war Gibbon, dessen Decline and Fall of the Roman Empire sich in der Backskiste befand, auf der er saß. Er wunderte sich darüber, daß eine Frau, die mit Leichtigkeit Juvenal zitierte, an einem so barbarischen Gedicht Gefallen finden konnte, dem jeder Schliff fehlte. Er begnügte sich damit, die Gesichter seiner Gäste zu beobachten. Galbraith sah aufmerksam und glücklich aus, die anderen schienen wieder etwas unsicher zu sein, doch hörten sie ungewollt interessiert zu.
Lady Barbara war ganz in ihrem Element. Sie plauderte mit furchtloser Sicherheit, mit der sie dennoch - wie Hornblower voll Neid feststellte - ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung nicht das geringste zu vergeben schien. Sie kokettierte überhaupt nicht, war aber entzückend, weder zu zurückhaltend noch etwa gar männlich. Man hätte sie für Savages Tante oder Galbraiths Schwester halten können. Sie konnte zu Männern wie zu ihresgleichen sprechen, nicht entgegenkommend, aber auch nicht ablehnend. Wirklich, sie glich Maria Hornblower durchaus nicht. Und als die Offiziere nach der Mahlzeit aufstanden, um - der Decksbalken wegen in gebückter Haltung - auf das Wohl des Königs zu trinken, da setzte sie hinzu›Gott segne ihn!‹, worauf sie ihr Glas genau mit jenem leichten Ernst leerte, der dieser Gelegenheit entsprach. Auf einmal wurde es Hornblower klar, daß er das leidenschaftliche Verlangen verspürte, das Beisammensein möge noch nicht so bald enden.
»Spielen Sie Whist, Lady Barbara?« fragte er.
»Freilich«, antwortete sie. »Gibt es hier an Bord Whistspieler?«
»Einige sind allerdings nicht so sehr darauf versessen«, meinte Hornblower, wobei er etwas boshaft lächelnd seine jungen Offiziere ansah.
Tatsächlich spielte dann Lady Barbara so gut, daß Hornblower zunächst gar nicht aus dem Staunen darüber herauskam, daß eine Frau im Spiel wirklich etwas richtig machte. Am nächsten Tage überraschte sie ihn mit einer neuen Fähigkeit, denn sie brachte eine Gitarre mit an Oberdeck und begleitete sich selbst zu den Liedern, die sie mit weichem Sopran vortrug. Immer mehr Leute der Besatzung schlichen sich nach achtern, um aus einiger Entfernung bescheiden zuzuhören; und nach jedem Lied ertönte gefühlvolles Räuspern und Füßescharren. Galbraith war Lady Barbaras Sklave. Der Midshipman vergötterte sie. Selbst solche rauhen Kriegsknechte wie Bush und Crystal wurden durch ihre Nähe sanfter. Gerard ließ sein blitzendes Lächeln und sein gutes Aussehen recht zur Geltung kommen. Er erzählte ihr von den Abenteuern, die er an Bord von Kaperschiffen und mit Sklavenhändlern auf afrikanischen Flüssen gehabt hatte.
Während dieser Reise, die an der Küste Nicaraguas entlangführte, beobachtete Hornblower den Leutnant Gerard mit Mißtrauen. Er verwünschte sein geringes Verständnis für Musik, der Gesang Lady Barbaras ließ ihn teilnahmslos, ja im Grunde genommen tat er ihm fast weh.
13. Kapitel
Tag für Tag glitt die lange vulkanische Küste vorüber. Immer wieder gab es das gleiche Panorama einer blauen See, eines blauen Himmels, schiefergrauer Bergkegel und lebhaft grüner Uferstreifen. Gefechtsklar lief die Lydia abermals in den Golf von Fonseca ein und umsegelte, nach der feindlichen Fregatte suchend, die Insel Manguera. Die Natividad war nirgends zu sehen, und auch am Strande rührte sich nichts. Irgend jemand schoß
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