Hornblower 06 - An Spaniens Küsten
alles Lebende fortgespült, sofern sich nicht einzelne unter den Brechern halbertrunkene Leute irgendwo wie die Fliegen festhielten. Durchs Glas gewahrte Hornblower auf der hochgekanteten Luvseite der Pluto einen Fleck, der sich bewegte und bisher überkommenden Seen getrotzt hatte. Und da waren noch andere solcher Flecken, und in regelmäßigen Abständen glänzte etwas. Irgendein tapferer Seemann hatte ein paar Leute zusammengerafft, um die Luvwanten des Großtopps zu kappen, und während die Sutherland näher kam, brachen sie und die Wanten des Fockmastes. Mit einem schüttelnden Rollen richtete sich die Pluto auf, wie ein riesiger Wal. Kaskadenartig quoll das Wasser aus ihren Speigatten, und als sie überholend der Sutherland ihr schräges Deck zeigte, krachte auch der Kreuztopp über die Seite. Befreit von der ungeheuren Hebelkraft der Takelage, gelang es ihr, sich zu behaupten. Disziplin und Mut hatten in einem nur minutenlang dauernden Kampf auf Tod und Leben den Sieg davongetragen. Noch immer arbeiteten drüben Männer in fieberhafter Hast. Sie hieben mit Äxten auf die Enden des stehenden Gutes ein, um die Trümmer der Takelage vollends zu beseitigen.
Dennoch befand sich die Pluto noch immer in schlimmer Lage. Von den Masten ragten nur noch Stümpfe über das Deck empor, und auch der Bugspriet war samt dem ganzen Vorgeschirr verschwunden. Der Verlust der stützenden Segel ließ den Schiffsrumpf derartig rollen, daß immer wieder ein großer Teil des bekupferten Bodens sichtbar wurde. Dabei waren die Bewegungen unheimlich schnell. Es erschien geradezu wie ein Wunder, daß der Dreidecker nicht kenterte. Im Inneren mußte die Hölle losgelassen sein, und dennoch lebte die Pluto , und das gleiche galt zum mindesten von einem Teil der Besatzung. Droben am Himmel krachte ein letzter Donner.
Selbst im Westen erschienen jetzt einzelne Lücken zwischen den ziehenden Wolken, und die spanische Sonne gab sich Mühe durchzubrechen. Die Windstärke hatte wieder abgenommen, wenn es auch noch immer gewaltig wehte. Der von Hornblower gefürchtete letzte Vorstoß des Sturmes hatte argen Schaden angerichtet.
Immerhin schien dieser Schlußakt länger gedauert zu haben, als es Hornblower vorkam. Plötzlich fiel sein Blick auf Kap Creus, das drohend über der Kimm emporragte. Der Wind trieb die beiden Schiffe fast genau darauf hin. In höchstens zwei Stunden mußte das entmastete Flaggschiff in die am Fuße des Kaps stehende Brandung geraten, wo seiner sichere Vernichtung harrte; nicht nur von der See, sondern auch von den auf Kap Creus stehenden französischen Geschützen, die nur darauf lauerten, den hilflosen Gegner in tausend Trümmer zu schießen.
»Mr. Vincent«, befahl Hornblower. »Heißen Sie folgendes Signal: Sutherland an Flaggschiff. Ich bringe Hilfe.«
Bush traute seinen Ohren kaum. In dieser brodelnden See und angesichts einer Leeküste mußte es der Sutherland verflucht schwerfallen, einer fast doppelt so großen, mastenlosen Hulk Beistand zu leisten. Hornblower wandte sich an seinen Ersten Offizier.
»Mr. Bush, bitte machen Sie die Bugankertroß klar, um sie durch eine der Heckpforten zu fieren. So schnell wie möglich.
Ich will das Flaggschiff abschleppen.«
Bush konnte seinen Widerspruch nur mimisch zum Ausdruck bringen; er kannte seinen Kommandanten zu gut, um mit Worten zu protestieren. Dabei konnte jedermann sehen, daß sich die Sutherland bei dem Vorhaben Hornblowers selbst in große Gefahr begeben würde, ohne greifbare Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Aufgabe war von Anfang an so gut wie unmöglich.
Wie wollte man die Troß zu der steuerlos in der schweren See rollenden Pluto hinübergeben? Dennoch gehorchte Bush den Befehlen des Kommandanten aufs Wort und war bereits davongeeilt, als Hornblower die Bedeutung seines Gesichtsausdrucks erriet. In Anbetracht der Windstärke und der Nähe des Landes durfte keine Sekunde verloren werden.
Infolge ihres geringen Tiefgangs und des auf die Takelage ausgeübten Drucks trieb die Sutherland viel schneller nach Lee ab als das entmastete Flaggschiff. Hornblower mußte mit äußerster Vorsicht manövrieren, um scharf angebraßt nach Luv zu Raum zu gewinnen, beizudrehen und dann erst wieder das Schiff abtreiben zu lassen. Es gab nur einen sehr geringen Spielraum. Noch immer wehte der Sturm. Die geringste Ungeschicklichkeit der Führung, die geringste Havarie an Segeln oder Stengen bedeutete Gefahr. Ungeachtet des kalten Windes und des neuerdings fallenden
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