Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
davon, wie schnell ihm das Französische geläufig wurde. Seine geistige Regsamkeit gestattete es ihm, von seinem wenig umfangreichen Wortschatz den denkbar besten Gebrauch zu machen. Auch tauchte manche halbvergessene Redewendung wieder aus seinem Unterbewusstsein auf, sobald ihm die Notwendigkeit den entsprechenden Antrieb gab.
Der Sergeant hatte ihm achselzuckend in ungezogener Weise den Rücken gekehrt.
»Ich werde Ihre Unverschämtheit morgen früh dem Herrn Oberst melden«, fuhr Hornblower ihn an. »Sofort schaffen Sie eine Matratze herbei!«
Vielleicht war es weniger die Drohung als die in Fleisch und Blut übergegangene Disziplin, die den gewünschten Erfolg zeitigte. Der Sergeant rief den Posten herbei und befahl ihm, eine Matratze aus dem Stall zu holen, in dem die Begleitmannschaften untergebracht waren. Zwar war diese, wie sich herausstellte, nur ein Strohsack, doch bot sie unendlich mehr Bequemlichkeit als die nackten Dielen, durch deren Ritzen es zudem zog. Brown warf seinem Kommandanten einen dankbaren Blick zu.
»Zeit zum Schlafengehen«, erklärte Hornblower, der es geflissentlich übersah. »Nun wollen wir es aber erst einmal Ihnen etwas behaglich machen, Bush.«
Irgendein dunkles Gefühl der Befangenheit war es wohl, was Hornblower dazu veranlasste, seinem Mantelsack das mit Stickerei verzierte Nachthemd zu entnehmen, an dem Marias geschäftige Hände so liebevoll gearbeitet hatten. Er hatte es von England mitgenommen, um es dann zu tragen, wenn er genötigt sein sollte, bei einem Gouverneur oder an Bord des Flaggschiffes zu übernachten. Seitdem er Kommandant war, also seit einer ganzen Reihe von Jahren, hatte er, abgesehen von Maria, stets einen Raum für sich gehabt. Es war ihm daher ebenso neu wie peinlich, in Gegenwart von Männern wie Bush und Brown sein Lager bereiten zu müssen; ungeachtet des Umstandes, daß Bush bereits blass und erschöpft die Augen geschlossen hatte und Brown sich in bescheidener Weise der Hosen entledigte, um sich dann mit dem Mantel zu bedecken, worauf sein Kommandant bestand. Ohne herüberzusehen, rollte er sich auf seinem Strohsack zusammen.
Hornblower ging zu Bett.
»Fertig?« fragte er und blies das Licht aus. Das Feuer im Kamin war ganz heruntergebrannt, und die Aschenglut verbreitete nur noch einen kaum wahrnehmbaren Schimmer.
Das war der Beginn einer jener schlaflosen Nächte, die Hornblower aus Erfahrung im voraus als solche erkannte. Im Augenblick, als er den Kopf auf das Kissen sinken ließ, wusste er, daß er nicht vor Beginn der Frühdämmerung einschlafen werde. An Bord wäre er jetzt aufgestanden, um auf der Heckgalerie hin und herzugehen; hier blieb ihm nichts anderes übrig, als grimmig und regungslos liegenzubleiben. Zuweilen verkündete ein leises Rascheln, daß sich Brown auf seinem Strohsack umdrehte. Ein oder zweimal stöhnte Bush ein wenig in seinem fieberigen Schlaf.
Heute war Mittwoch. Noch vor sechzehn Tagen war Hornblower Kommandant eines vierundsiebzig Kanonen tragenden Linienschiffes und der unumschränkte Herrscher über fünfhundert Seeleute gewesen. Ein Wink von ihm lenkte die Bewegungen einer gigantischen Kriegsmaschine.
Sehnsuchtsvoll gedachte er der an Bord seines Schiffes verbrachten Nächte, des Knarrens der Hölzer, des Summens der Takelage, des im Schein des erleuchteten Kompasses kaum sichtbaren und regungslos auf seinem Posten stehenden Rudergängers, des wachhabenden Offiziers, dessen gleichmäßiger Schritt von der Kampanje heruntertönte.
Jetzt war er nichts mehr. Er, der bis ins einzelne das tägliche Leben von fünfhundert Männern geregelt hatte, musste sich jetzt um eine Matratze für den einzigen Seemann bemühen, der ihm noch verblieben war. Gendarmerieunteroffiziere konnten ihn ungestraft beleidigen. Er musste jemandem gehorchen, den er verachtete. Schlimmer aber noch als alles - Hornblower fühlte, wie ihm das Blut heiß in die Schläfen stieg, als ihm die Erkenntnis voll zum Bewusstsein kam -, man schaffte ihn als Verbrecher nach Paris. Sehr bald würde man ihn in kalter Frühdämmerung in den Festungsgraben von Vincennes führen und dem Hinrichtungskommando gegenüberstellen. Dann war er tot. Seine lebhafte Vorstellungskraft ließ ihn den Aufschlag der seine Brust treffenden Flintenkugeln empfinden. Wie lange wohl der Schmerz dauerte, bis die Bewusstlosigkeit eintrat? Den Tod als solchen fürchtete er nicht, redete er sich ein; in seinem jetzigen Elend konnte man sich geradezu danach sehnen. Etwas
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