Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Admiral Leighton lebte oder nicht lebte, und wenn er tot war, ob Lady Barbara häufiger an den Verstorbenen oder an den sie verehrenden Hornblower dachte; welche Fortschritte Marias Schwangerschaft machte. Wie dachte in England die Öffentlichkeit über den Verlust der Sutherland, und - wichtiger noch - wie dachte Lady Barbara über seine Kapitulation? Endlos gingen solche und andere Erwägungen durch seinen Kopf. Und die Pferde der Eskorte stampften drüben im Stall, und alle zwei Stunden hörte er, wie vor seinem Fenster der Posten abgelöst wurde.
5. Kapitel
Es hatte kaum zu dämmern begonnen und schwaches graues Licht erfüllte den Raum, als draußen im Gang Schlüssel klirrten und stampfende Schritte näher kamen.
»Der Wagen fährt binnen einer Stunde weiter«, meldete der eintretende Sergeant. »In einer halben Stunde ist der Wundarzt hier. Die Herren werden ersucht, rechtzeitig fertig zu sein.«
Bush hatte offenbar Fieber. Hornblower erkannte das, sowie er sich - er trug noch das gestickte seidene Nachthemd - über ihn beugte. Dennoch erklärte Bush fest, daß es ihm gut gehe. Aber sein gerötetes Gesicht hatte einen ängstlichen Ausdruck, und seine Hände griffen in die Bettdecke. Hornblower fürchtete, daß schon das Zittern der Dielen, auf denen er und Brown hin und hergingen, dem unverheilten Beinstumpf Schmerzen bereitete.
Der ehemalige Kommandant der Sutherland wusch sich und rasierte sich dann mit kaltem Wasser. Seit seiner Gefangennahme hatte ihm überhaupt niemals mehr warmes zur Verfügung gestanden. Er sehnte sich jedoch nach der kalten Dusche, die er unter der Deckspumpe zu nehmen pflegte. Seine Haut schien sich allein schon bei dem Gedanken an die Prozedur zusammenzuziehen, und in der Tat war es eine schauderhafte Angelegenheit, mit Waschlappen und Seife hantierend, immer nur wenige Quadratzentimeter anzufeuchten, um dann mit dem Messer darüber hinzustreichen. Brown zog sich unauffällig in der ihm zugewiesenen Zimmerecke an und huschte daraus wie eine Ratte hervor, als er sich, nachdem sein Kommandant fertig geworden war, selbst waschen wollte.
Der Arzt erschien mit seiner Ledertasche.
»Na, und wie geht es an diesem schönen Morgen?« fragte er aufgeräumt, aber Hornblower sah einen Schatten über sein Gesicht gleiten, als er merkte, daß der Verwundete fieberte.
Er kniete nieder und enthüllte den Beinstumpf, indessen ihm Hornblower über die Schulter sah. Das Glied zuckte nervös, als es mit fester Hand angefasst wurde. Der Wundarzt nahm Hornblowers Hand und legte sie oberhalb der Amputationsstelle auf die Haut.
»Etwas warm«, meinte er. Hornblower kam sie heiß vor. »Das kann ein gutes Zeichen sein. Gleich werden wir Bescheid wissen.«
Er ergriff eine der Ligaturen und zog daran. Wie eine Schlange glitt der Faden aus der Wunde hervor.
»Gut!« sagte der Franzose. »Ausgezeichnet!«
Aufmerksam betrachtete er die am Knoten haftenden Reste, und dann beugte er sich vor, um die paar Tropfen Eiter zu prüfen, die aus der Öffnung hervorgetreten waren.
»Ausgezeichnet«, wiederholte er.
In Gedanken kehrte Hornblower zu den zahlreichen Berichten zurück, die er von den ihm unterstehenden Wundärzten entgegengenommen hatte. Die Worte›gutartiger Eiter‹tauchten in seiner Erinnerung auf. Es war wichtig, zwischen dem Ausfluss einer in Heilung begriffenen Wunde und dem stinkenden Abszess der Blutvergiftung zu unterscheiden.
Offensichtlich aber handelte es sich im vorliegenden Fall um gutartigen Eiter. Das ging aus des Doktors Bemerkungen hervor.
»Nun zu der anderen«, sagte der Arzt. Er zog an der Ligatur, aber er erreichte damit nur, daß Bush einen Schmerzensschrei ausstieß, der Hornblower ins Herz schnitt. Gleichzeitig bäumte sich der Körper des Gepeinigten auf.
»Noch nicht ganz so weit«, erklärte der Franzose. »Ich möchte jedoch annehmen, daß es sich nur noch um Stunden handeln kann. Gedenkt Ihr Freund heute noch die Reise fortzusetzen?«
»Er tut es auf ausdrücklichen Befehl«, versetzte Hornblower in seinem unbeholfenen Französisch. »Sie würden solches Verhalten unklug finden?«
»Höchst unklug sogar. Es wird ihm erhebliche Schmerzen verursachen und kann überhaupt den ganzen Heilungsprozess in Frage stellen.« Er fühlte des Daliegenden Puls und legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Höchst unklug«, sagte er noch einmal.
Hinter ihm öffnete sich die Tür, und der Sergeant erschien auf der Schwelle.
»Der Wagen ist bereit.«
»Er muss warten, bis ich den
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