Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Hornblower.
»Wie ich Ihnen sagte. Herr de Gracey war Emigrant. Nach Ausbruch der Revolution lebte er mit seinen Kindern mehrere Jahre lang in London. Aber als die Jungen heranwuchsen und der Ruhm des Kaisers - er war damals Erster Konsul - zu ihnen drang, wollten sie Anteil haben am Ruhme Frankreichs. Ihnen zuliebe machte der Graf von der Amnestie Gebrauch und kehrte hierher zurück, denn dies ist alles, was nach der Revolution von seinen Besitztümern übrigblieb. Niemals begab er sich nach Paris. Was für Beziehungen konnten ihn an den Kaiser fesseln?
Er gestattete indessen seinen Söhnen, in die Armee einzutreten, und nun sind sie tot; Antoine, Marcel und Louis-Marie. Marcel heiratete mich, als sein Regiment in unserem Dorf in Quartier lag, aber die anderen beiden blieben unvermählt. Louis-Marie war achtzehn, als er starb.«
»Entsetzlich«, sagte Hornblower.
Das banale Wort entsprach nicht dem, was er beim Anhören der Erklärungen empfand, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Jetzt begriff er indessen die Bemerkung des Grafen, wonach sich die Behörden ohne weiteres mit seinem Wort begnügen würden, daß er keine entsprungenen Gefangenen gesehen habe.
Ein Edelmann, dessen drei Söhne im Dienste des Kaisers den Tod gefunden hatten, würde niemals verdächtigt werden, Flüchtlinge zu beherbergen.
»Verstehen Sie mich recht«, fuhr die Vicomtesse fort. »Sie sind ihm nicht deswegen willkommen, weil er den Kaiser hasst.
Sie bedürfen jedoch der Hilfe, und noch nie habe ich erlebt, daß er einem Mitmenschen die Hilfe versagte. Mit Worten lässt sich das nur schwer sagen, aber ich denke, Sie verstehen mich.«
»Ich verstehe«, sagte Hornblower leise.
Sein Herz erwärmte sich für die Vicomtesse. Sie mochte vereinsamt und unglücklich sein. Offensichtlich war sie so abgehärtet, wie es ihre bäuerliche Erziehung mit sich gebracht hatte, und dennoch dachte sie sofort daran, diesem Fremden die Herzensgüte und die seelischen Vorzüge ihres Schwiegervaters zu schildern. Mit ihrem fast roten Haar und den tiefdunklen Augen war sie eine auffallend gut aussehende Frau, und die satte Elfenbeintönung ihrer Haut verstärkte diesen Eindruck. Nur eine leichte Unregelmäßigkeit der Züge und der etwas zu große Mund verhinderten es, daß sie eine bezaubernde Schönheit war.
Kein Wunder, daß jener junge Subalternoffizier der Husaren - Hornblower nahm es als feststehend an, daß der verstorbene Vicomte de Gracey Husarenleutnant gewesen war - sich in sie verliebt und dann, ungeachtet des väterlichen Widerstandes, darauf bestanden hatte, sie zu heiraten. Hornblower ertappte sich bei dem Gedanken, daß es ihm selbst gar nicht so schwer fallen würde, sich in sie zu verlieben, wenn er leichtsinnig genug gewesen wäre, solchen Gedanken Raum zu geben, während sein Leben in der Hand des Gastgebers ruhte.
»Und Sie?« fragte die Vicomtesse. »Haben Sie eine Gattin drüben in England? Kinder?«
»Ich bin verheiratet«, sagte Hornblower.
Auch ohne die Notwendigkeit, sich in einer Fremdsprache ausdrücken zu müssen, wäre es schwierig gewesen, Maria zu beschreiben. Er sagte, daß sie klein und dunkelhaarig sei, und sonst sagte er nichts. Ihre geröteten Hände, die untersetzte Figur, ihre teils rührende, teils lästige Anhänglichkeit... nein, er konnte sich schon deswegen nicht auf eine eingehendere Schilderung einlassen, weil es sonst fühlbar geworden wäre, daß er sie nicht liebte, und noch niemals hatte er sich das anmerken lassen.
»Und Kinder haben Sie nicht?« erkundigte sich die Vicomtesse.
»Derzeit nicht.« Qualen bereitete es ihm, davon zu sprechen, wie der kleine Horatio und sein Schwesterchen den Pocken zum Opfer gefallen waren. Dann gab er sich einen innerlichen Ruck und sagte, daß Maria ihrer Niederkunft im Januar entgegensehe.
»Wir wollen hoffen, daß Sie bis dahin wieder heimgekehrt sein werden zu Ihrer Gattin«, bemerkte die Vicomtesse. »Heute werden Sie ja Gelegenheit finden, etwaige Fluchtpläne mit meinem Schwiegervater zu erörtern.«
Als habe es sich um ein Stichwort gehandelt, erschien in diesem Augenblick der Graf selbst.
»Entschuldigen Sie mich der Störung wegen«, sagte er, noch während er Hornblowers Verbeugung erwiderte, »aber vom Fenster meines Arbeitszimmers beobachtete ich einen Gendarmen, der sich von einer am Fluss entlangziehenden Patrouille trennte und sich nun dem Haus nähert. Würde es Ihnen sehr lästig sein, Herr Kapitän, wenn ich Sie ersuchte, für ein Weilchen
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