Hornblower 08 - Der Kommodore
alles geschehen? Und wenn er ein bißchen Glück hatte, dann gelang es ihm sogar, sich im Herbst auch wieder den Rückweg zu erkämpfen. Gewiß gab es Gründe genug, die dafür sprachen, sich Zeit zu nehmen, abzuwarten und zunächst einmal eine Verbindung mit der Küste zu suchen, aber die anderen Gründe, die ihn zum sofortigen Handeln bestimmten, erwiesen sich eben doch als stärker und zwingender.
Ein scharfer Schlag der Schiffsglocke - ein Glas. Also war noch eine knappe Stunde Zeit, ehe es hell wurde, dort drüben in Lee zeigte sich am Himmel schon der erste graue Schein.
Hornblower öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich aber im letzten Augenblick eines Besseren. In der aufregenden Spannung des Augenblicks, die seine Pulse schneller schlagen ließ, war er drauf und dran gewesen, auch seine Befehle in lautem, scharfem Ton zu geben, aber er wollte sich dieses unbeherrschte Benehmen nicht durchgehen lassen. Solange er Zeit hatte, in Ruhe nachzudenken und sich vorzubereiten, konnte er auch den Mann mit den eisernen Nerven spielen.
»Kapitän Bush!« rief er und brachte es fertig, seinen Befehl mit lässig gedehnter Stimme zu geben und dabei eine vollkommen gleichmütige Miene zur Schau zu tragen: »Signal an alle Schiffe: Klarschiff zum Gefecht.«
»Aye, aye, Sir.«
Zwei rote Laternen an der Großrah und ein Kanonenschuß waren das Nachtsignal bei Gefahr einer Berührung mit dem Feind und bedeuteten für alle Mann den Befehl, sich auf die Gefechtsstationen zu begeben. Es dauerte natürlich ein bißchen, bis die Laternen angezündet waren, so kam es, daß die Nonsuch in der Herstellung der Gefechtsbereitschaft schon ziemlich weit gediehen war, ehe auch die anderen Schiffe das Signal verstanden hatten. Die Freiwache war geweckt, die Decks waren mit Sand bestreut, die Feuerlöschpumpen besetzt, die Geschütze ausgerannt, die Schottwände niedergelegt. Die zusammengewürfelte Besatzung war noch recht ungeschult - Bush mußte bei dem Unternehmen, die Leute aufzutreiben, die Hölle durchgemacht haben -, aber man mußte zufrieden sein, es hätte bestimmt schlechter klappen können. Inzwischen war die graue Dämmerung am Osthimmel immer höher gekrochen, die anderen Fahrzeuge, die man vorhin als dunkle Kernschatten in der allgemeinen Finsternis nur geahnt hatte, waren nun bereits als Schiffe erkennbar, aber für den Durchbruch war es immer noch nicht hell genug. Hornblower wandte sich an Bush und den Ersten Offizier Hurst: »Bitte«, sagte er und bemühte sich dabei, jedes Wort so lässig und langsam zu sprechen, wie er nur konnte, »lassen Sie das Signal anstecken: In Gefechtskiellinie auf befohlenen Kurs gehen, und halten Sie es klar zum Heißen.«
»Aye, aye, Sir.«
Nun war alles getan, was zu tun war. Diese letzten zwei Minuten der Untätigkeit, des Wartens, gingen besonders auf die Nerven. Hornblower war gerade im Begriff, seine Wanderung wieder aufzunehmen, da fiel ihm ein, daß es natürlich das Gegebene war, stehenzubleiben, wenn er unerschütterlichen Gleichmut beweisen wollte. Vielleicht hatten die Küstenbatterien schon die Essen geheizt, um ihre Kugeln glühend zu machen, und unter Umständen war seine ganze Streitmacht, auf die er jetzt so stolz war, innerhalb weniger Minuten zu einer traurigen Prozession lichterloh brennender Wracks zusammengeschossen... Nun war es Zeit.
»Heiß das Signal!« sagte Hornblower. »Kapitän Bush, ich darf Sie bitten, voll zu brassen und dem Verband zu folgen.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Bush.
Seine Stimme verriet unterdrückte Erregung, und dieser Umstand verhalf Hornblower zu der blitzartig aufleuchtenden Erkenntnis, daß er Bush mit seiner erzwungenen Haltung und Ruhe ja nicht täuschen konnte. Der wußte aus jahrelanger Erfahrung, daß er, Hornblower, immer dann auf einer Stelle stehen blieb, statt auf und ab zu gehen, und so langsam und gedehnt zu sprechen begann, wie auch jetzt wieder, wenn er eine Gefahr witterte. Das war eine hochinteressante Entdeckung, nur schade, daß er jetzt keine Zeit hatte, sich damit zu beschäftigen, weil er seinen Verband durch den Sund führen mußte. Bei dieser Aufgabe durfte er sich nicht ablenken lassen. Die Lotus war Spitzenschiff. Ihr Kommandant Vickery hatte nach Hornblowers Meinung die besten Nerven, auf ihn konnte man das Vertrauen setzen, daß er ohne Wimpernzucken durchhielt. Am liebsten hätte Hornblower natürlich selbst geführt, bei der bevorstehenden Operation war aber das Schlußschiff am meisten gefährdet -
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