Hornblower 08 - Der Kommodore
Verhalten gegen die skandinavischen Mächte große Handlungsfreiheit. Der Brief Merrys entband ihn nicht von seiner eigenen Verantwortung. Er konnte Wychwood und Basse entweder die Weiterreise mit der schwedischen Brigg gestatten, oder er konnte sie selbst befördern. Worauf es hierbei ankam, war die Frage, ob die Nachricht von der neuesten Angriffshandlung Bonapartes ausgerechnet durch ein britisches Geschwader überbracht werden sollte oder nicht. Wer eine schlechte Nachricht brachte, machte sich immer unbeliebt; es möchte lächerlich scheinen, wenn er solche Faktoren in Rechnung stellte, aber deshalb war es doch wichtig, es zu tun. Die beiden Herrscher mochten es aufreizend finden, in dieser Form wieder einmal an die britische Kriegsmarine erinnert zu werden, die ihre Finger in jeden Brei steckte und damit alle Welt in Ungelegenheiten brachte.
Andererseits konnte es sehr nützlich und heilsam sein, wenn das Auftreten eines britischen Geschwaders in der östlichen Ostsee, ja, unmittelbar an den Toren von St. Petersburg, die Leute daran erinnerte, wie lang der Arm Englands war. Unterwerfung unter Bonaparte bedeutete für Schweden und Rußland Krieg, diesmal richtigen, wirklichen Krieg gegen England. Bonaparte fand sich da bestimmt nicht mit Halbheiten ab. Bei dieser Lage der Dinge mußte es für die Entscheidungen der Russen und der Schweden da drüben schwer ins Gewicht fallen, wenn die Marssegel britischer Schiffe an der Kimm gemeldet wurden, wenn sie wußten, daß dieser Krieg gegen England augenblickliche Blockade, Wegnahme jedes Schiffes, das sich hinauswagte, ständige Bedrohung aller ihrer Küsten bedeutet. Bonaparte stand vielleicht an ihren Grenzen, ja, aber England stand vor ihren Toren. Hornblower traf seine Entscheidung. »Meine Herren«, sagte er, »ich glaube, es ist meine Pflicht, Sie mit meinem Geschwader nach Rußland zu bringen. Ich biete Ihnen die Gastfreundschaft dieses Schiffes und hoffe, daß Sie die Güte haben, sie anzunehmen.«
11. Kapitel
Wychwood war alter Adel und obendrein Gardeoffizier; mit seinem kleinen roten Schnurrbart, seinen komischen Glotzaugen und seiner ganzen sonstigen Erscheinung machte er in Uniform einen ausgesprochen belustigenden Eindruck und war dabei doch ein gewiegter und erfahrener Weltmann. Mit fünfunddreißig Jahren hatte er schon zwei Drittel der europäischen Höfe besucht, war vertraut mit ihren Intrigen, kannte ihre Schwächen und ihre Stärken, wußte um ihre militärischen Möglichkeiten, ihre Vorurteile und ihre Traditionen. Er saß auf Hornblowers Einladung in dessen Kajüte, während ein steifer West den Verband stampfend und rollend vor sich her immer tiefer in die Ostsee trieb. Basse war völlig mattgesetzt und lag seekrank in seiner Koje, sie waren also durch seine Gegenwart nicht gestört - allerdings zeigte auch Wychwood einen blassen Schimmer um die Wangen, und sein Benehmen ließ ab und zu die Vermutung aufkommen, daß ihm sein innerer Zustand stark zu schaffen machte; aber im ganzen hielt er sich doch in männlicher Zucht. »Boneys Schwäche«, begann Wychwood, »besteht darin, daß er glaubt, jeden Widerstand in der Welt durch Gewalt überwinden zu können.
Natürlich ist diese Meinung sehr oft richtig, man braucht nur seine Laufbahn anzusehen, um das zu begreifen. Aber manchmal irrt er sich eben doch. Es gibt immer noch Menschen, die lieber kämpfen, lieber sterben, als daß sie Sklaven seines Willens bleiben wollen.«
»Spanien hat den Beweis dafür geliefert«, sagte Hornblower.
»Gewiß, aber in Rußland könnten die Dinge einen anderen Verlauf nehmen. Rußland ist wirklich und im wörtlichen Sinne der Zar, während man nur sehr bedingt behaupten kann, daß die Bourbonenmonarchie Spanien dargestellt hätte. Wenn sich daher Alexander der drohenden Gewalt Bonapartes unterwerfen sollte, dann unterwirft sich mit ihm ganz Rußland; leider hat er schon allzu viele Beleidigungen eingesteckt.«
»Er hat auch noch andere Dinge eingesteckt - außer den Beleidigungen«, bemerkte Hornblower trocken.
»Sie meinen Finnland? Das ist richtig. Und dazu alle die anderen baltischen Provinzen: Litauen, Kurland und so weiter.
Aber Sie, als Seeoffizier, wissen wohl besser als ich, wieviel das für die Sicherheit von St. Petersburg bedeutet. Ich finde es schwer, ihm vorzuwerfen, daß er diese Gelegenheit benutzt hat.
Bei uns zu Hause hat der Angriff auf Finnland natürlich viel böses Blut gemacht. Wir wollen hoffen, daß man diese Geschichte vergißt,
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