Hornblower 08 - Der Kommodore
öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, machte ihn aber gleich wieder zu. Sie lächelte zwar, sah aber gleichzeitig ganz verwirrt und unglücklich drein. Wieder wollte sie sprechen, aber diesmal wurde ihr das Wort dadurch abgeschnitten, daß sich feierlich eine neue Flügeltür öffnete, durch die alsbald zwanzig bis dreißig Diener einmarschierten, um ein doppeltes Spalier nach dem Nebensaal zu bilden. Jetzt bemerkte Hornblower auch, daß die Hoheiten ihre Plätze verlassen hatten und sich wieder zum Zug ordneten. Das Gespräch verebbte, daraus entnahm er, daß ein besonders feierlicher Augenblick gekommen war. Die einzelnen Paare bewegten sich durch den Saal wie Schiffe, die nach ihrem richtigen Platz in der Linie streben. Die Gräfin legte ihm die Hand auf den Arm, er fühlte ihren leisen Druck, offenbar wollte sie ihn führen. Wahrhaftig, da bildete sich ja hinter den Hoheiten eine richtige Prozession! Und dort ging auch schon der persische Gesandte mit einem lächelnden jungen Mädchen am Arm. Hornblower konnte seine Dame eben rechtzeitig heranführen, um hinter ihnen Anschluß zu finden.
Nach ihnen schlossen noch zwei oder drei weitere Paare auf, und schon setzte sich der Zug in Bewegung, während er ständig weiter in die Länge wuchs. Hornblower hielt seine Augen auf den persischen Gesandten gerichtet, der ihm voranging. Sie zogen durch das Spalier der Lakaien und gelangten dann in den nächsten Saal. Hier brachen die Paare wie bei einem Volkstanz abwechselnd nach rechts und links ab. Der persische Gesandte wandte sich nach links, und Hornblower wäre auch ohne die unterstützende Geste des Großmarschalls, der allen Zweifelnden zu Hilfe kam, nach rechts eingeschwenkt. Die Gesellschaft befand sich nun in einem zweiten riesigen Saal. Blitzende Kristallüster, es schienen an die hundert zu sein, hingen von der Decke und verbreiteten strahlende Helle. Eine geradezu endlose Tafel durchzog diesen Saal von einem Ende bis zum anderen - Hornblowers aus dem Gleichgewicht geratener Phantasie schien sie meilenlang zu sein. Sie war mit Goldgeschirr und blitzendem Kristall gedeckt und trug einen wundervollen Blumenschmuck.
Diese Tafel hatte die Form eines T mit sehr kurzem Querbalken.
Dort oben hatten die Hoheiten bereits Platz genommen. Von einem Ende der Tafel bis zum anderen stand hinter jedem Stuhl ein Diener in weißer Perücke. Da ging Hornblower ein Licht auf. Das richtige Diner sollte also jetzt erst beginnen. Was man drüben im Kuppelsaal geboten hatte, war nur ein zusätzlicher einleitender Imbiß gewesen. daß er das nicht gleich erfaßt hatte!
Hornblower war ganz in der Stimmung, sich über seine eigene Begriffsstutzigkeit lustig zu machen, gleichzeitig aber stöhnte er auf, wenn er dachte, daß er sich nun in seinem übersättigten Zustand noch durch das ganze kaiserliche Diner hindurchessen mußte.
Außer den Hoheiten blieben die Herren noch hinter ihren Stühlen stehen, während die Damen Platz nahmen. Der persische Gesandte gegenüber beugte sich liebenswürdig zu seiner jungen Tischdame herab, dabei nickte die Aigrette an seinem Turban und blitzten seine Diamanten. Als die letzte Dame ihren Platz eingenommen hatte, setzten sich alle Herren zugleich - das klappte nicht ganz, aber doch beinahe so gut wie ein Präsentiergriff der englischen Seesoldaten. Sofort erhob sich eine Woge allgemeiner Unterhaltung, einen Augenblick später wurde Hornblower ein goldener Suppenteller vor die Nase gestellt und eine goldene Terrine angeboten, die eine rote Suppe enthielt. Unwillkürlich blickte er die Tafel entlang. Wahrhaftig!
Hier wurden alle Gäste zu gleicher Zeit bedient - es mußten also mindestens zweihundert Diener servieren.
»Dort sitzt der französische Botschafter, Monsieur de Narbonne«, sagte die Gräfin und deutete mit den Augen auf einen hübschen jungen Mann schräg gegenüber, der zwei Plätze über dem persischen Gesandten saß. »Natürlich sind Sie ihm vom Großmarschall nicht vorgestellt worden. Dort ist der österreichische Botschafter, dann kommen die Gesandten von Sachsen und Dänemark, alles offiziell Ihre Gegner. Der spanische Botschafter kommt von Joseph Bonaparte, nicht von der Partisanenregierung, die England anerkennt, also konnten Sie auch ihm nicht gut vorgestellt werden. Ich glaube, außer uns Russen gibt es hier kaum einen Menschen, dem man Sie vorstellen könnte, ohne einen Fauxpas zu begehen.«
Vor Hornblower stand ein hoher Kelch mit einem blumigen, kühlen, goldenen Wein.
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