Hornblower 08 - Der Kommodore
anderen Seite saß. Er fragte ihn nach dem Admiral Keats, den er im Jahre 1807 einmal kennengelernt hatte. Wieder bot der Diener eine neue Platte. Das behaarte Handgelenk des Mannes, das beim Servieren zwischen Manschette und weißem Handschuh zum Vorschein kam, trug Flecke, die offenbar von Flohstichen herrührten. Hornblower erinnerte sich an eine Stelle in einem der Bücher über die Reiche des Nordens, die er an Bord studiert hatte. Da hieß es, das Ungeziefer würde um so schlimmer, je weiter man nach Osten käme. Der polnische Floh sei sehr lästig, der russische völlig unerträglich. Wenn er wirklich schlimmer war als der spanische, mit dem Hornblower enge Bekanntschaft gemacht hatte, dann mußte es sich allerdings um eine ganz besonders gut entwickelte Rasse handeln.
In diesem Palast gab es bestimmt Hunderte, nein Tausende von Bediensteten, und Hornblower konnte sich gut denken, wie eng aufeinander diese Leute hausten. Er hatte nicht umsonst zwanzig Jahre lang auf menschenüberfüllten Schiffen einen unablässigen Kampf gegen das Ungeziefer geführt und wußte genau, wie schwer es war, seiner Herr zu werden. Während ein Teil seines geistigen Ich mit dem Dragonergeneral ein Gespräch über die Grundsätze führte, nach denen man in der englischen Marine die Auslese unter den Offizieren traf und ihr Rangdienstalter festsetzte, verweilte er mit dem anderen bei dem flohzerstochenen Diener und sagte sich, daß er es wesentlich vorziehen würde, nicht von einem solchen Mann bedient zu werden. Allmählich verebbte sein Gespräch, und er wandte sich wieder zur Gräfin. »Interessiert sich Monsieur etwa besonders für Bilder?« fragte sie. »Natürlich«, gab Hornblower höflich zur Antwort.
»In diesem Palast befindet sich eine ganz hervorragende Gemäldegalerie. Haben Sie sie schon gesehen?«
»Nein, ich habe noch nicht das Vergnügen gehabt.«
»Wenn sich die Hoheiten zurückgezogen haben, kann ich sie Ihnen zeigen. Das heißt, wenn Sie nicht vorziehen, sich am Kartenspiel zu beteiligen.«
»O nein, ich sehe viel lieber die Bilder an«, sagte Hornblower und fand, daß sein Lachen wenigstens für die eigenen Ohren etwas zu laut klang.
»Erwarten Sie mich also bei der Tür dort am anderen Ende des Saales, wenn die Hoheiten gegangen sind. Ich werde Sie führen.«
»Das ist reizend von Ihnen, Madame.«
Am Kopfende des Tisches wurden Trinksprüche gewechselt.
Zuerst trank man auf den Prinzen von Schweden, dazu mußte sich alles erheben. Und nachher konnte kein richtiges Gespräch mehr in Gang kommen, weil die Folge der Trinksprüche immer neue Unterbrechungen verursachte. Ein riesiger, mit einer gewaltigen Stimme begabter Hofbeamter, der hinter dem Sessel des Zaren stand, kündete die einzelnen Redner an - Stentor in der Gestalt des Herakles, dachte Hornblower, und freute sich über seine klassische Ader. Zu den Trinksprüchen wurde musiziert, nicht durch ein Orchester, sondern durch einen Männerchor, der a capella sang und anscheinend aus Hunderten von Stimmen bestand, die den ganzen, riesigen Raum dröhnend erfüllten. Hornblower hörte mit der leisen, aber wachsenden Gereiztheit zu, die sich bei solchen Gelegenheiten des völlig Unmusikalischen bemächtigt. Es war eine Erlösung für ihn, als die Musik endlich aufhörte und die ganze Tischgesellschaft sich wieder erhob, während sich die Hoheiten durch eine Tür nahe dem Kopfende der Tafel zurückzogen. Kaum hatte sich diese Tür hinter ihnen geschlossen, da verließen auch die Damen, geführt von Madame Kotschubey, durch die entgegengesetzte Tür den Saal. »A bientot«, lächelte die Gräfin, als sie ihn verließ.
Die Männer scharten sich in Gruppen an der Tafel zusammen, während die Diener mit Kaffee und Likören hereingeeilt kamen.
Wychwood, die Bärenmütze immer noch unter dem Arm, kam zu Hornblower herum. Sein Gesicht war röter als je, und die Augen standen ihm womöglich noch weiter aus dem Kopf als sonst.
»Wenn Rußland kämpft, gehen die Schweden mit«, sagte Wychwood mit heiserer Flüsterstimme. »Ich habe das unmittelbar von Basse, der den ganzen Tag bei Bernadotte war.«
Dann ging er weiter, und Hornblower hörte, wie er etwas höher oben am Tisch eine Gruppe uniformierter Herren mit seinem fabelhaften Französisch beglückte. Im Saal herrschte eine unerträgliche Hitze, die wohl von der Unzahl brennender Kerzen herrührte. Schon begannen einzelne Herren, sich durch die Tür zu entfernen, die vorhin auch die Damen benutzt
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