Hornblower 09 - Lord Hornblower
besonders dann nicht, wenn dieser Kommodore Hornblower hieß, der bekanntlich bei jeder Verzögerung sehr ungnädig wurde und jede Aufgabe mit höchstem Schwung anzupacken pflegte. Kein Leutnant, der noch etwas werden wollte, konnte sich so etwas erlauben. Bei aller Seekrankheit mußte Hornblower doch innerlich über Freemans Verlegenheit lachen.
»Wenn Sie meinen, dann drehen Sie ruhig bei!« brüllte er zurück. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da schrie Freeman auch schon seine Befehle durch den Sprachtrichter:
»Beidrehen!! Vormarssegel klar zum Bergen!!
Großstengestagsegel klar zum Setzen!! Rudergänger: An den Wind gehen!!«
»An den Wind gehen, Sir.«
Das Bergen des Vormarssegels nahm dem Schiff die Fahrt, das Stagsegel wirkte stützend. Nun lag die Porta Coeli am Wind. Bisher hatte sie mit dem Sturm gerungen, jetzt ergab sie sich, einer Frau vergleichbar, die einem ungestümen Liebhaber endlich zu Willen ist. Den Steuerbordbug dem steilen Seegang zugewandt, lag sie nun wieder auf ebenem Kiel und hob und senkte sich mit einigem Gleichmaß. Die unvermuteten Sprünge, die sie eben noch in der schräg von achtern auflaufenden See vollführt hatte, waren mit einem Male zu Ende. Die Steuerbord-Großwanten gaben Hornblower an seinem Platz hinter dem Schanzkleid sogar etwas Lee, so daß er fast den Eindruck hatte, als habe auch der Wind ein bißchen nachgelassen.
Ohne Zweifel war es so viel angenehmer und viel sicherer. Es bestand keine Gefahr mehr, daß die Porta Coeli Spieren oder Segel einbüßte oder daß sich ihre Nähte noch in beunruhigender Weise lockerten. Aber man kam auf diese Weise nicht an die Flame und ihre meuterische Besatzung heran, im Gegenteil, man trieb jeden Augenblick weiter davon weg nach Lee. Ja, nach Lee! Hornblower war, wie jeder andere Seemann auch, geradezu besessen von dem Wunsch, sich zu Luward seines Bestimmungsortes zu halten. Also tat es ihm bitter leid um jeden Meter Leeweg. Luv zu opfern, kam ihn härter an als einen Geizhals die Trennung von seinen goldenen Dukaten. Jetzt im Spätherbst konnte man im Kanal täglich mit Stürmen aus westlicher Richtung rechnen, da mußte man unter Umständen jede Meile östlich Abtrift mit Zinseszins wiedergutmachen. Jede Stunde Leeweg kostete, sobald der Wind abflaute, mindestens zwei bis drei Stunden Aufkreuzen nach Luv, es sei denn, der Wind schiftete aus Ost, womit man jedoch nicht rechnen konnte.
Dabei kam es unter Umständen auf jede Stunde an, denn niemand konnte sagen, was sich die Desperados auf der Flame als nächste Wahnsinnstat ausdachten. Es konnte jeden Augenblick geschehen, daß sie sich in ihrer Panikstimmung den Franzosen auslieferten oder daß die Rädelsführer heimlich von Bord gingen, um in Frankreich Zuflucht zu suchen und sich auf diese Weise für immer dem Strick des Henkers zu entziehen.
Jeden Augenblick mochte auch in der Navy die Nachricht durchsickern, daß eines Seiner Majestät Schiffe mit Erfolg die Bande der Disziplin zerrissen habe und daß arme, unterdrückte Seeleute mit der Admiralität verhandelten wie eine souveräne Macht mit der anderen. Hornblower erriet nur zu genau, welche Wirkung eine solche Nachricht haben mußte. Je eher an der Flame ein Exempel statuiert wurde, desto besser war es, allerdings hatte er noch keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte. Der Sturm, der im Augenblick tobte, konnte ihr nichts anhaben, sie ritt ihn bequem in Lee der normannischen Halbinsel ab. Ein Fahrzeug ihrer Größe konnte sich in der Seinebucht überall bewegen, auf der einen Seite fand sie notfalls Zuflucht in Le Havre, auf der anderen in der Orne bei Caen. Die Batterien an der Küste von Cotentin gaben ihr Schutz, die Vorpostenboote und die Kanonenboote auf der Seine lagen klar, ihr zu Hilfe zu kommen. Sowohl in Cherbourg wie in Le Havre gab es französische Fregatten und Linienschiffe.
Gewiß, sie waren nicht seeklar und nur halb bemannt, aber zur Not konnten sie sich immer ein paar Meilen aus dem Hafen wagen, um die Flucht der Flame zu decken. Bei Annäherung einer überlegenen Streitmacht lief diese sicher auf und davon, einem ebenbürtigen Gegner, wie der Porta Coeli hier, mochte sie sich vielleicht stellen. Ja... Hornblower hielt nachdenklich inne. Einem englischen Schiff mit englischer Besatzung, die mit dem Löwenmut der Verzweiflung kämpfte, unter völlig gleichen Bedingungen entgegentreten zu müssen, das war sicher alles andere als schön. Der Sieg war jedenfalls nur um einen teuren Preis
Weitere Kostenlose Bücher