Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Hornblower im vergangenen Jahr mit der Clorinda eingelaufen, die verlassene Reede bot guten Ankergrund und ausreichend Landschutz für eine Handvoll Fischerboote.
Hornblower starrte voller Sehnsucht in das unermeßliche Blau des Ozeans hinaus. Er versuchte, sich einen Fluchtweg auszudenken, dann wieder überlegte er, wie man etwa mit diesen Piraten reden müsse, um auf eine annehmbare Art mit ihnen ins reine zu kommen, aber die schlaflose Nacht machte seine Gedanken träge, und nun, da er gegessen hatte, wollten sie erst recht nicht munter werden. Er ertappte sich dabei, daß ihm der Kopf müde auf die Brust sank und riß sich mit einem Ruck zusammen. Jetzt, da er Mitte vierzig war, zeigte eine schlaflose Nacht eben doch schon ernstere Nachwirkungen, noch dazu, wenn sie unter solchen Aufregungen und körperlichen Strapazen verlaufen war.
Spendlove war seine Schläfrigkeit nicht entgangen. »Ich meine, Sie sollten ein wenig ruhen, Mylord«, sagte er leise.
»Ja, vielleicht könnte ich sogar schlafen.« Er streckte sich auf dem harten Boden aus. Es gab kein Kissen für den Kopf, seine Lage war alles andere als bequem.
Da fühlte er, wie ihn zwei Hände an den Schultern faßten und sachte herumschoben, bis sein Kopf auf Spendloves Schenkel ruhte. Einen Augenblick schien sich alles um ihn zu drehen, die Brise flüsterte ihm ins Ohr, das Stimmengewirr der streitenden Piraten und ihrer Weiber verschwamm zu einem eintönigen Geräusch, der Wasserfall gurgelte und rauschte - dann war er eingeschlafen. Erst als Spendlove nach geraumer Zeit seine Schultern berührte, wurde er wieder wach. »Mylord, Mylord.«
Als er die Augen aufschlug, fand er sich im ersten Augenblick überhaupt nicht zurecht. Es dauerte Sekunden, bis ihm wieder einfiel, wo er sich befand und wie er hierher gekommen war.
Vor ihm stand Johnson mit einigen seiner Spießgesellen, eine der Frauen hielt sich mit neugierigen Augen etwas im Hintergrund, ihr Gehabe verriet, daß sie eifrig geholfen hatte, den Beschluß herbeizuführen, der anscheinend mittlerweile zustande gekommen war. »Wir schicken dich zum Gouverneur, Lord«, sagte er.
Hornblower blickte mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. Obwohl die Sonne schon hinter der Felswand verschwunden war, konnte er gegen den blendend hellen Himmel kaum etwas unterscheiden. »Du«, sagte Johnson, »du gehst. Er bleibt.« Dabei wies er auf Spendlove. »Was soll das heißen?« fragte Hornblower. »Du gehst zum Gouverneur und bringst uns den Pardon«, sagte Johnson. »Wenn du bittest, wird er tun, was du sagst. Er bleibt hier. Wir können ihm die Nase abschneiden, die Augen ausstechen…«
»Großer Gott im Himmel!« stieß Hornblower hervor. Johnson oder seine Ratgeber - vielleicht die Frau dort im Hintergrund - waren offenbar doch gerissener, als es anfänglich schien.
Jedenfalls hatten sie gewisse Vorstellungen von Ehre und von der Verpflichtung, die die Kameradschaft dem Gentleman auferlegte. Irgendeine Ahnung verriet ihnen wohl, daß dieses Band der Kameradschaft auch zwischen Hornblower und Spendlove bestand, vielleicht waren sie erst draufgekommen, als sie sahen, wie Hornblower schlafend mit dem Kopf auf Spendloves Schenkel ruhte. Jedenfalls waren sie fest davon überzeugt, daß es Hornblower niemals über sich bringen würde, Spendlove kaltblütig ihrer Willkür zu überlassen. Sie wußten vielmehr genau, daß er alles Menschenmögliche unternehmen werde, um auch ihm die Freiheit zu verschaffen.
Gewiß, schlimmstenfalls - Hornblowers Phantasie schäumte wie eine Woge über den Wall seiner Schlaftrunkenheit - wenn es ihm nämlich nicht gelang, den gewünschten Pardon zu erwirken, käme er sogar freiwillig hierher zurück, um die Gefangenschaft und alles, was dann noch kam, mit Spendlove zu teilen.
»Wir schicken dich, Lord«, sagte Johnson. Das Weib im Hintergrund schrie mit lauter, keifender Stimme dazwischen.
»Du gehst jetzt - gleich«, sagte Johnson. »Steh auf!«
Hornblower erhob sich langsam vom Boden, er hätte sich auf alle Fälle Zeit dazu genommen, um mühsam noch einen letzten Rest von Würde zu wahren, aber auch wenn es ihm darum zu tun gewesen wäre, rascher aufzuspringen, er hätte es nicht gekonnt. Seine Gelenke waren steif, er konnte sie fast krachen hören, als er sich bewegte. Alle Glieder taten ihm scheußlich weh.
»Diese zwei Männer begleiten dich«, sagte Johnson.
Spendlove stand auch schon auf den Beinen. »Wie fühlen Sie sich, Mylord?« fragte er besorgt.
»Steif und
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