Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
oben.
»Vorsicht, Mylord!« sagte Spendlove beschwörend. Die Warnung war noch nicht verklungen, als es dicht über Hornblowers Kopf hinwegpfiff. Vor der Brustwehr der Höhle wölkte sich Mündungsqualm, und gleich darauf hallte ein scharfer Knall von der Felswand wider. Dann tauchten hinter der Brustwehr Gestalten auf, die sich von weitem wie winzige Puppen ausnahmen. Sie schwangen drohend die Arme, und ihr haßerfülltes Geschrei drang schwach zu denen herab, für die es bestimmt war. »Einer von den Burschen hat anscheinend ein gezogenes Gewehr«, sagte Seymour.
»Meinen Sie? Da machen wir am besten, daß wir außer Schußweite kommen, ehe er neu geladen hat.« Bis zu diesem Augenblick hatte sich Hornblower nicht viel aus dem Vorfall gemacht. Jetzt aber fiel ihm plötzlich ein, daß dieser Schuß der sagenhaften Laufbahn des großen Lord Hornblower ums Haar ein höchst unrühmliches Ende bereitet hätte. Seinem künftigen Biographen wäre dann die Aufgabe zugefallen, die Ironie des Schicksals zu beklagen, daß es zugelassen hatte, daß er, der Held so vieler Schlachten, in einem unbekannten Winkel Westindiens durch die Kugel eines namenlosen Verbrechers den Tod fand. Er machte kehrt und zog sich zurück, die anderen folgten seinem Beispiel. Dabei spürte er deutlich, wie er den Nacken steif und die Muskeln gespannt hielt - es war eben doch schon recht lange her, seit er zum letzten Mal in Lebensgefahr gewesen war. Um so eifriger war er jetzt darum bemüht, sich möglichst gelöst und ungezwungen zu geben.
»Sefton wird mit dem Mörser nicht mehr lange auf sich warten lassen«, bemerkte er, nur um ja einen ruhigen, gleichmütigen Eindruck zu machen. Er hoffte nur, daß seine Worte auf die anderen nicht so gezwungen wirkten, wie er sie selbst empfand. »Das ist zu hoffen, Mylord.«
»Wo wollen wir das Ding aufstellen?« Er drehte sich um sich selbst und schätzte die Entfernungen nach Augenmaß. »Wir tun auf alle Fälle gut daran, außer Schußweite dieses Gewehrs zu bleiben.«
Das Gebot des Augenblicks nahm ihn so in Anspruch, daß die Gefahr von vorhin alsbald völlig vergessen war. Wieder puffte von der Brustwehr herunter Mündungsqualm, wieder krachte ein Schuß.
»Hat einer der Herren die Kugel pfeifen hören? Nein? Dann dürfen wir annehmen, daß wir außer Schußweite sind.«
»Darf ich mir eine Frage erlauben, Mylord?« meldete sich Spendlove. »Wie weit kann man mit einem Bootsmörser schießen?«
»Muß der allwissende Spendlove doch einmal zugeben, daß es auch bei ihm Lücken gibt? Mit einem Pfund Pulver ist die Reichweite siebenhundert Meter bei einer Flugzeit von fünfzehn Sekunden. Aber in unserem Fall müssen wir die Granate zwanzig Meter über der Abschußstelle zur Detonation bringen.
Eine nette ballistische Rechenaufgabe.« Hornblower sagte das so beiläufig hin, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Wie sollte auch jemand ahnen, daß er die Daten erst heute nacht um ein Uhr aus dem Handbuch entnommen hatte? »Die Bäume dort werden uns gute Dienste tun, wenn wir den Mörser an Land holen. Sechs bis sieben Meter um sie herum ist noch dazu schöner ebener Boden. Es gibt keinen besseren Platz.«
»Dort kommen sie, Mylord.«
Die Spitze der Hauptmacht kam soeben um den Vorsprung der Felswand herum, die Männer eilten so rasch sie konnten am Ufer entlang. Als sie die Lage überblickten, brachen sie in lautes Gebrüll aus und sprangen oder krochen womöglich noch schneller über alle Hindernisse des Geländes. Hornblower dachte unwillkürlich an eine Meute, die bellend herbeigestürzt kommt, wenn sie ihre Beute gestellt sieht.
»Ruhe da!« schrie er. »Der Fähnrich dort! Können Sie Ihre Leute nicht im Zaum halten? Schreiben Sie ihre Namen auf und melden Sie sie zur Bestrafung, ich selbst werde Mr. Sefton den Ihren nennen.«
Still und beschämt schlossen die Matrosen so gut es ging ihre Reihen. Jetzt erschienen auch die Prähme. Im Schlepp von Arbeitsgruppen, die am Ufer mühsam stromauf strebten, glitten sie wie das Schicksal selbst über das stille Wasser.
»Weitere Befehle, Mylord?« fragte Sefton. Hornblower sah sich noch einmal im Gelände um, ehe er seine Entscheidung traf. Die Sonne hatte längst den Zenit überschritten, als eine Anzahl tatenlustiger Matrosen auf die Bäume kletterte, um dort Taljen anzuschlagen. Bald darauf hing der Mörser baumelnd an einem starken Ast, bis seine Bettung ebenfalls aus dem Prahm geheißt war und auf einem ebenen Fleckchen Platz
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