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Hornblower 11 - Zapfenstreich

Hornblower 11 - Zapfenstreich

Titel: Hornblower 11 - Zapfenstreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. S. Forester
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Fangarmen in Berührung, wird ergriffen, verschlungen und verdaut. Stellen Sie sich vor, ich sei so eine Qualle - dann werden die erbeuteten Opfer zu Ideen, zu Geschichten, Umrissen und Motiven -, wählen Sie selbst den Ausdruck, der Ihnen am geeignetsten scheint, das Gerüst eines Romans zu bezeichnen. Freilich gibt es im Meer weit höhere Lebensformen als die Quallen, und wenn auch alle Menschenwesen im Meere der Menschheit so ziemlich die gleichen Erfahrungen machen, so sind eben doch manche Menschen Quallen und manche sind Haifische. Den Schriftsteller möchte ich unter die Quallen rechnen: auch er nimmt die winzigsten Futterteilchen wahr; für ihn sind das all die kleinen, anregenden Beobachtungen und Erlebnisse, die er einfängt und für seine besonderen Zwecke verwendet. Wir können die Analogie noch weiterführen: Ist das erbeutete Opfer erst im Magen der Qualle, so beginnen die Verdauungssäfte zu fließen und verwandeln den Stoff in ein anderes Protoplasma, ohne daß die Qualle bewußt irgend etwas dazu tut. Plötzlich aber ist es aus mit dieser Analogie, und damit endet das Quallendasein.
    In meinem eigenen Falle spielt sich das zumeist so ab, daß ich die erste Anregung auch als das erkenne, was sie ist. Die zufällige Bemerkung eines Freundes in der Unterhaltung, ein Abschnitt in einem Buche, etwas, das ich im Vorbeigehen beobachte, spricht mich besonders an, und ich heiße es freudig willkommen. Gleich nach dem herzlichen Willkomm aber wird es vergessen oder wenigstens nicht weiter beachtet. Es sinkt in den Abgrund meines Unterbewußtseins wie ein wasserdurchtränktes Stück Holz in den Schlamm am Grunde eines Hafens, wo es Seite an Seite mit anderen liegt, die ihm vorausgegangen sind. Von Zeit zu Zeit wird es dann - jedoch keineswegs systematisch - heraufgeholt, um prüfend betrachtet zu werden; früher oder später findet sich ein Holz, an dem Muscheln gewachsen sind. Eines Morgens beim Rasieren, eines Abends, wenn ich überlege, ob mein Dinner Weißwein oder Roten verlangt, kommt mir die ursprüngliche, unreife Idee wieder in den Sinn - und ist gewachsen. Fast immer hat sie etwas zu tun mit dem Thema, das schließlich zum Mittelpunkt eines Romans oder einer Novelle wird, und manchmal ist sie dem Ende und manchmal dem Anfang zu gewachsen. Die Ausfälle sind dabei hoch - an manchem Holz setzen sich keine Muscheln an -, aber es haben sich immerhin genug entwickelt, um mich mehr als vierzig Jahre lang beschäftigt zu halten.
    Nach beendeter Prüfung versenke ich das Holz wieder in den Schlamm, fische es ab und zu wieder heraus, bis sich zeigt, daß die Muscheln daran hübsch zahlreich geworden sind. Das ist der Augenblick, wo der Stoff wirklich beginnt, Form anzunehmen.
    Immer öfter tauchen nun die auf diesen Stoff gerichteten Gedanken in mir auf und nehmen meine Aufmerksamkeit im Laufe der Tage mehr und mehr in Anspruch, bis man schließlich fast sagen kann, die Geschichte sei zu einer fixen Idee geworden, die mein Denken färbt, meine Handlungen und mein Benehmen beeinflußt. Gewöhnlich ist auf dieser Stufe etwas wirkliche Arbeit erforderlich, um die eine oder andere handwerkliche Schwierigkeit zu lösen. An einem bestimmten Punkt der Handlung mag es für die Lydia und die Natividad wichtig sein, zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu stehen - welche Kräfte (außer dem rein zufälligen Zusammentreffen) könnten das herbeiführen? Was ist früher geschehen, daß ein solches Treffen unvermeidlich wird? Hier muß eine andere Art Erfindungsgabe einsetzen.
    Solche Schwierigkeiten klären sich zuweilen auf seltsame und oft dankenswerte Weise - das ist mir wohl ein halb dutzendmal geschehen. Ich hatte zwei verschiedene Möglichkeiten des Ablaufs entwickelt, beide irgendwie unbefriedigend, und dann fügten sie sich plötzlich genau ineinander wie zwei getrennte Hälften eines Puzzle-Spiels. Jetzt sind die Schwierigkeiten auf einmal verschwunden, die Geschichte ist beieinander, und ich erlebe eine ganz besondere, intensive Freude, eine wohlige Befriedigung - gänzlich unverdient -, und das ist vielleicht die größte Belohnung in meinem Beruf.
    Endlich ist der Aufbau nun also vollständig, über Anfang und Ende ist entschieden, auch alle Zwischenstufen sind klar (mit gelegentlichen Ausnahmen, von denen die eine oder andere später in diesem Essay auftauchen wird), so daß nur übrigbleibt, die Sache zu schreiben. Bitte denken Sie nicht, daß ich hier Regeln zum Schreiben von Romanen niederlege. Andere

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