Hornblower 11 - Zapfenstreich
Persönlichkeit. Wenn er also ziemlich schnell befördert worden war, konnte er jetzt etwa Anfang der Dreißiger sein - dieses Alter war gerade recht für seine Verstrickung in die Affäre mit Lady Barbara, deren älterer Bruder auf alle Fälle im Jahre 1808 neununddreißig Jahre alt war. Dieses Alter paßte mir gut, auch ich war Ende dreißig und konnte auf die Jüngeren mit olympischem Gleichmut herabsehen.
Ach so, Hornblower mußte ja auch gut Spanisch sprechen, sonst gäbe es unendliche Schwierigkeiten mit Dolmetschern, wenn er mit El Supremo zu verhandeln hatte. Dafür mußte ich natürlich eine vernünftige Erklärung haben, und ich fand sie in seiner militärischen Vergangenheit: er war einmal Kriegsgefangener in Spanien gewesen. Selbstverständlich war er verheiratet - sonst hätte es ja keine Schwierigkeiten mit Lady Barbara gegeben. Was schon erfunden und festgelegt war, gab mir wichtige Anhaltspunkte auch für den Charakter seiner Frau, die zwar persönlich nicht weiter in Erscheinung treten sollte, über die man aber doch auch etwas wissen mußte. Sie war wohl kaum sehr empfindsam, auch nicht besonders klug oder lebenserfahren, denn sonst hätte man doch erwarten können, daß sie wenigstens etwas dazu beigetragen hätte, die Schlingen zu lockern, die ihren Mann gefesselt hielten. Auch war sie eine Frau aus dem Volke, denn wäre sie adlig gewesen, so hätte das wiederum Hornblowers Annäherung an Lady Barbara zu sehr begünstigt. Zum Glück war es nicht nötig zu erklären, wieso ein Mann wie Hornblower eine Frau wie diese Maria geheiratet hatte; man konnte vom Leser erwarten, daß er wußte, daß so etwas vorkommt.
Was fehlte nun Hornblower selbst noch? Er mußte eine gute Auffassungs- und Vorstellungsgabe haben, denn sonst würde er die Dinge und die Möglichkeiten nicht wahrnehmen, die mit seinen Augen beobachtet werden sollten. Ich wollte auch keinen völlig furchtlosen Mann aus ihm machen - das lag schon in seinem vorgesehenen Wesen. Wenn er sich in Gefahr begab, dann mußte er die Lage auch als gefährlich erkennen, damit ich, der Erzähler, nicht nur als außenstehender Beobachter, sondern aus seinem subjektiven Erleben heraus die Situation beschreiben konnte. Wir kennen ihn schon als einen besonders fähigen Mann; aber er mußte auch zum Führer geeignet sein - diese Eignung konnte sich aus seiner Feinfühligkeit und seiner Beobachtungsgabe entwickeln lassen. Seine Führerqualität sollte mehr auf Taktgefühl und weniger auf animalischen Kräften beruhen. Als die Margaret Johnson sich England näherte, hatte Hornblower seinen Charakter also schon zugeteilt bekommen.
Nur Einzelheiten waren noch einzufügen. Ich dachte ihn mir als einen hochgewachsenen, ja staksigen und unbeholfenen Mann; das stand in wirkungsvollem Kontrast zu seinen geistigen Gaben und wäre Öl auf das Feuer seiner Selbstkritik. Aber ein ausgezeichneter Mathematiker mußte er sein. Ich selbst war von Natur unfähig, je den Sprung vom binomischen Lehrsatz zur höheren Analysis zu tun; wie würde ich es genießen, einen Helden zu haben, für den das ein leichtes wäre, zumal unter meinen nahen Freunden ein paar gute Mathematiker gewesen waren. Freilich schwelgte ich in schamloser Erfüllung meiner Wunschträume, wenn ich Hornblower zum Mathematiker machte, das aber geht mir erst heute auf, da ich diese Zeilen schreibe.
Mein Hornblower war befangen und außerdem scheu und zurückhaltend - diese Eigenschaften sind eng verbunden -, das war nötig, um seine Beziehung zu Lady Barbara noch schwieriger zu machen, und dabei konnte ich mir selbst beträchtlich zu Hilfe kommen, denn über Scheu und Zurückhaltung wußte ich aus eigener Erfahrung nur zu gut Bescheid. Er mußte ein ausgesprochen gut aussehender Mann sein, von der Art, die Frauen auffällt, selbst aber sein gutes Aussehen nicht zu schätzen wissen; dazu kamen noch gute, vielleicht sogar schöne Hände, Hände, wie sie Männern mit der Wesensart, die ich ihm geben wollte, oft zu eigen sind; aber wiederum durfte er sich ihres Reizes nicht bewußt sein.
Noch etwas kam mir in den Sinn: Lady Barbaras Vater, der erste Lord Mornington, war musikalisch gewesen, sogar ein ganz guter Komponist, und Wellington, ihr Bruder, hatte zu seinem eigenen Vergnügen Geige gespielt, bis seine militärischen Studien dem ein Ende setzten. Bestimmt war Lady Barbara auch musikalisch. An mir aber war diese Muse achtlos vorübergegangen. Ich verstand mich weit besser auf die Etikette am Hofe von
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