Hornblower 11 - Zapfenstreich
Bordeaux, Lynch, geschehen war, als Bonaparte während der Hundert Tage wieder zur Macht kam. In jenen wilden Tagen mußte wohl gar mancher entdecken, daß er auf das falsche Pferd gesetzt hatte.
Diese Überlegungen waren mir besonders wichtig, weil mir die Schicksalsprüfungen der irregeführten Verräter - wie Lord Haw-Haw und anderer - frisch im Gedächtnis waren, als die Nürnberger Prozesse stattfanden. Ich konnte mich nicht erinnern, irgendwo gelesen zu haben, daß nach dem Fall des Napoleonischen Reiches England irgendeine intensive Verfolgung der zahlreichen Deserteure und selbst Verräter unternommen hätte, die sich zitternd in Frankreich verborgen halten mußten und darauf warteten, verhaftet zu werden.
Nun, was geschah eigentlich zu jener Zeit mit solchen Leuten? Die Meuterer der Hermione waren eine Generation früher zu Tode gehetzt und erbarmungslos gehenkt worden. Und natürlich, was war denn wohl dem Comte de Gracey und seiner Schwiegertochter Marie zugestoßen, als Bonaparte sie während der Hundert Tage in seiner Macht hatte, falls er dahintergekommen war, daß sie Hornblower zur Flucht verholfen hatten? Und Hornblower? Der kleinste Zug von vorn oder Schubs von hinten genügte gewiß, ihn wieder in seine Liaison mit Marie zu stürzen. Unter solchen Umständen konnte auch er selbst während der Hundert Tage in eine recht schwierige Situation geraten. Und zuvor mußte er ein gut Teil zum Fall des Reiches beigetragen haben. Und jene Meuterer - was war mit ihnen geschehen?
Dies war das Problem, das sich mir nun stellte, und ich fand, es war eine interessante Kopfübung: Wie sollte man sich gegen eine Besatzung von Meuterern verhalten, die sich ihres Schiffes bemächtigt hatten und drohten, es dem Feind zu übergeben (was ein- oder zweimal tatsächlich vorgekommen war), wenn man ihnen nicht Straffreiheit zusicherte. Sie bekämpfen? Das war unmöglich, wenn die Meuterer die Gewässer, in denen sie kreuzten, sorgfältig auswählten. Es war erheiternd - aber nein, das war nicht ganz das passende Wort, anregend war besser -, einen Plan auszudenken, der Erfolg versprach.
Und dann war da dieser Sturm - ich sähe Hornblower gern wieder auf See und schlechtem Wetter ausgesetzt; und dann der Friedensschluß und der Wiener Kongreß zur Neuordnung Europas. Wellington nahm als Außerordentlicher Gesandter daran teil; sicher war doch auch seine Schwester, wenn nicht gar sein Schwager, mit beteiligt, besonders, da bekannt war, daß Wellington nicht allzu gut mit seiner Duchesse, seiner Herzogin, stand. Und Marie de Gracey, an die ich fast mein Herz verloren hatte? Erdhaft war sie und süß; so intuitiv wie klug, empfindsam wie großmütig; was - wenn überhaupt etwas - hatte die Zukunft wohl für sie bereit? Ein seltsamer Wirrwarr von Ideen und Gefühlen - aber die Geschichtsfakten boten genug festes Rüstzeug, um aus diesem zusammengewürfelten Material ein Gerüst aufzubauen. Diesmal standen beide Systeme des Aufbaus, die ich in Kapitel 2 beschrieben habe, zur Verfügung: die Taten waren vorgesehen, aber die Täter waren auch schon zur Hand, und glücklicherweise erwiesen sich die beiden Methoden als gegenseitige Stützen und widerstritten einander nicht. Alles ordnete sich ein, und es kam der Augenblick, da ich wieder entschwebte in eine Welt von Stürmen im Kanal, unbedeutenden, aber ermüdenden Reibereien zwischen Hornblower und Barbara und dunkel sich abhebender Tragik, von Augenblicken irdischer Liebe, ausgeglichen durch eine idyllische Dorfhochzeit - Hornblower stieg dabei auf die höchste Spitze beruflicher Anerkennung, während er gleichzeitig einen empfindlichen persönlichen Verlust erlitt. Der Krieg hat viele schreckliche Aspekte; Menschen werden im Krieg getötet, und die Überlebenden sind nicht mehr die, die sie waren - kurze Worte, aber mit Tragik beladen. Aber nun war auch ›Lord Hornblower‹ fertig, und ich konnte in meine eigene Welt zurückkehren. Vielleicht ist dies der Augenblick, in dem ich noch eine persönliche Bemerkung anbringen kann. Wenn ich je gefragt würde (und offensichtlich auch ohne gefragt zu sein), welches die beste Zehn-Minuten-Arbeit war, die ich je geleistet habe, welche Seite unter all den Tausenden, die ich geschrieben habe, mir am wenigsten mißfällt, möchte ich die letzte, abschließende Seite von ›Lord Hornblower‹ aussuchen - da ist eine Verflechtung von Handlungen und Gefühlen etwa so genau mit sparsamsten und treffendsten Worten ausgedrückt, wie ich meine,
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