Hornjäger (German Edition)
den See von Not und Kummer zu befreien. Die dort ansässigen Menschen hat er dann zu Bauern gemacht.«
»Eine wundervolle Geschichte!« Euphena grinste ihn frech an.
»Ja die hohen Herrschaften sind halt nicht zimperlich.«
Sie standen schon fast im Tor. Vor ihnen fertigte die Stadtwache einen nach dem anderen ab. Euphena verstand nicht, welche Worte sie wechselten, aber die Soldaten klangen bei jedem neuen Bürger noch ein wenig unwirscher als zuvor.
Sie umfasste den Ohrring in ihrer Hand noch ein wenig fester. Wenn sie durch ihn in irgendeiner Weise Probleme bekommen sollten, würde sie ihn in hohem Bogen von den Zinnen werfen, möglichst in Richtung See! Wenn alles gut lief, hatte sie kein Problem damit, bei der Gräfin vorzusprechen - solche Kleinaudienzen hatte sie schon oft genug hinter sich gebracht - aber wenn es durch den Ohrhänger Ärger gab, wollte sie nichts damit zu tun haben!
Der Käsemann vor ihnen rollte sein Käserad neben das Tischchen des Wachhauptmannes. »Kerderik, Käsemacher. Ich will zum Markt.«
Der diensthabende Hauptmann taxierte ihn mit einem misstrauischen Blick. Er war ein Mann mittleren Alters und wirkte von der Sonne ein wenig ausgetrocknet. Eingefallene Wangen und der dicke Schnurrbart unter seiner schiefen Nase ließen ihn wie einen Mann erscheinen, der üblicherweise für die Liebe einer Frau bezahlen musste. Er spie aus und winkte Kerderik durch.
»Und Ihr?«, fragte er unwirsch an Helwyr gewandt.
»Helwyr und Euphena. Wir sind Reisende und suchen eine Unterkunft.«
»Wenn Ihr Reisende seid, warum habt Ihr dann kein Gepäck dabei?« Der Hauptmann verzog verächtlich den Mund und entblößte eine lückenhafte Zahnreihe.
»Wir wurden überfallen und wollen nun unsere Vorräte auffrischen.« Obwohl Helwyr sich nur am Rande der Wahrheit entlanghangelte, verzog er bei seinen Worten keine Miene. Euphena hielt sich im Hintergrund.
»Wir wollen Fremde hier nicht, machen nur Ärger!«
Helwyr seufzte. Er musste sich zurückhalten, um nicht die Geduld zu verlieren. »Wir werden keinen Ärger machen, versprochen! Wir wollen nur in die Stadt und etwas Essen kaufen.«
Der Hauptmann mit der schiefen Nase grunzte. »Und was ist mit der da?« Fahrig deutete er auf Euphena.
Empört schnappte sie nach Luft. Sie war noch nie so respektlos angesprochen worden. Wenn der elende Hundsfott nicht gleich weitermachte, würde sie ihm zeigen, was ‚die da‘ von ihm hielt!
Helwyr legte beruhigend eine Hand auf ihren Arm.
»Wie ich bereits erwähnte: Das ist Euphena, meine Frau.« Es klang ganz so, als würde er mit einem trotzigen Kind sprechen, das krampfhaft irgendeinen Grund suchte erneut lostoben zu können.
»Wenn deine Dirne innerhalb meiner Mauern anschafft, fliegt ihr raus! Verstanden?«
Helwyr neigte leicht den Kopf, um seine Zustimmung auszudrücken. Euphena kochte vor Wut. So eine miese Ratte! Sie eine Dirne? Verunsichert sah sie an sich hinunter. Es stimmte schon, wie eine Hofdame sah sie ganz und gar nicht mehr aus. Zwischen ihre langsam abheilenden Verletzungen mischten sich Schmutz und Dreck und ihr Kleid war auch nicht gerade das Beste. Der Verlust all ihrer Habe, nach Astos Überfall, und der kümmerlichen Reste ihrer Sachen, die auf Anthas Kummet befestigt gewesen waren, traf sie auf einmal hier am steinernen Drachentor vor Gräfin Marezzas Stadt mit aller Wucht. Ohne all den Schnickschnack war sie ein Niemand! Ein Nichts! Selbst der geringste Bauernknecht hatte mehr als sie! Ihre Haare hingen wirr vom Kopf und an das letzte Mal, als ihre Wangen etwas Puder gesehen hatten, erinnerte sie sich nur noch vage.
Der Hauptmann scheuchte sie weiter wie zwei Gassenköter und widmete sich dem Nächsten. Euphena wurde von Helwyr am Arm durch das Tor in die Stadt gezogen.
»Was ist denn los, Püppchen? Gefällt dir die Stadt nicht?«
»Ach Helwyr!« Sie hakte sich bei ihm unter und folgte ihm durch die Menschenmenge quer über einen kleinen Platz und in das Gewirr der Gassen. »Mir ist nur eben klar geworden, dass ich ein Nichts bin. Ein kleines, unbedeutendes, trauriges und armseliges Nichts.«
»Ach so, Wenn‘s weiter nichts ist.« Helwyr zog sie über die Straße und schlängelte sich zwischen zwei Karren hindurch.
Euphena boxte ihn in die Seite.
»Ach komm schon, Euphena«, meinte er lächelnd, »Du hast doch immer noch mich. Ich bin im Moment zwar auch nichts, aber dann sind wir wenigstens zu zweit niemand. Das wird sich schon wieder ändern! Spätestens, wenn du mit dem
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