Hornjäger (German Edition)
ich dir sagen, Mädel! Haben nur noch Tote gefunden. Grauenhaft, sag ich dir! So viele Söhne und Väter. Und wofür?«
Sie sah den Käsemann unverständig an.
»Sieben Dörfer.«
Euphena machte ein erstauntes Gesicht.
»Beansprucht sie die Gräfin für sich?«, fragte Helwyr interessiert.
Der Käsemann musterte ihn kurz, bevor er antwortete. Euphena hakte sich bei ihm unter.
»Das kann man wohl sagen, mein Herr. Da hängen ganz schöne Einnahmen dran. Aber das ist nicht der Hauptgrund.«
»Nein?«
»Ihr müsst wissen, es herrscht Uneinigkeit sogar unter den Bewohnern selbst, in welches hochherrschaftliche Gebiet sie fallen wollen. Die Gräfin ist noch nicht zur Gänze etabliert. Deshalb ist sie auch so hart, ... sagt man.« Die letzten Worte hatte er ihnen vertraulich zugeraunt. Offensichtlich war es nicht klug, sich allzu offen über die Gräfin zu äußern.
»Seit wann herrscht sie denn?« Euphena interessierte sich für die Frau, die die Bauern zum Zittern brachte und der sie bald würde erklären müssen, wie sie an einen ihrer Lieblingsohrringe gekommen war.
»Ihr seid nicht von hier, Mädel gell? Lasst das nicht allzu deutlich raus ... ihr versteht?« Der feiste Mann setzte das Käserad vor sich am Boden ab. »Wird ganz schön schwer mit der Zeit. Also,« er senkte verschwörerisch die Stimme. Tratschen war ihm ganz offensichtlich ein willkommener Zeitvertreib. »mit ihr ist das so: Sie lebt ja schon lange hier. Fast solange ich mich zurückerinnere. Hat den Grafen geheiratet und immer schön das Burgfräulein gespielt. Dann vor zwei Jahren, meint der Graf, er will alles aufgeben, sich nur noch den Sternen und den Göttern widmen, ihr versteht?« Helwyr an Euphenas Seite nickte. »Also er verkündet ihr seinen Beschluss und überlegt wen er zum Nachfolger bestimmen soll. Kinder haben die beiden nicht.«
Der Käsemann unterbrach seine Erzählungen und rollte sein Käserad ein paar Schritte weiter.
»Also, sein Vetter kommt vorbei und will das Erbe. Ist ja auch logisch: der nächste männliche Verwandte und so ...«, der Käsemann lüftete seinen Hut und kratzte sich seine verschwitzte Halbglatze.
»Er besucht also den Grafen und kniet so schmeichlerisch vor seinem Thron, da explodiert die Marezza plötzlich und schimpft auf ihn ein. Wenn er sich nie um ihr Land gekümmert hat, soll er es auch jetzt nicht tun, er sei ein vermaledeiter Hurenbock, der sich nur an den Familienschätzen bereichern will, und schmeißt ihn raus. Manche sagen, sie ist in ihrem langen Kleid vom Podest geklettert und hat ihn persönlich an einem Ohr gepackt und ihn vor das Schlosstor gezerrt, wie einen räudigen Kater den man entfernt, bevor man sich mit irgendetwas Grauslichem ansteckt. Sein Pferd hat sie jedenfalls behalten und seine Habe von den Mauern unter die Armen geworfen.«
Euphena war verblüfft. Offensichtlich hatte man Marezza lange Zeit unterschätzt! »Und ihre Herrschaft wurde einfach so anerkannt?«
»Nun ja ... es ging zunächst leichter, als erwartet, aber dann begannen diese Grenzscharmützel. Dieser Vetter herrscht über die südlichen Lande. Da wächst kaum was und Bauern hat er auch nur wenige, aber er kann es halt nicht lassen ... versucht krampfhaft seinen Ruf zu retten!« Der Käsemann gluckste und rückte wieder ein wenig weiter.
Sie waren schon ein deutliches Stück vorangekommen. Euphena betrachtete fasziniert das Steinrelief, das über dem Tor in der Wand verankert worden war und optisch die beiden runden Wachtürmchen und das niedriggelegenere Tor zu einer Einheit verband. Es zeigte das Gesicht eines Monsters, was genau es war, konnte Euphena nicht sagen. Vielleicht etwas zwischen Hund und Schlange. Wind und Wetter hatten in jahrelanger Arbeit die Konturen des Unholds unscharf und die Oberfläche so rau gemacht, dass sich Moose und Flechten, wie Dreck in die Vertiefungen gesetzt hatten.
»Und der Graf?«, fragte Helwyr unumwunden weiter.
»Der unterstützt natürlich seine Marezza. Hätte ihm wohl auch nicht gefallen, sein Land dem Vetter zu übergeben. Der hat sich sein Lebtag nicht um den Grafen geschert und jetzt, wo es was zu holen gibt, macht er auf Liebkind. Nein, nein, mein Herr! So gescheit ist der Graf schon. Will ja auch nur das Beste für die Menschen hier ... und das wissen wir auch. Aber bei Marezza sind sich viele eben immer noch nicht sicher. Der Stein, den du da so anstarrst, Mädel, ist übrigens der Drache, den der Gründervater unserer schönen Stadt abgemurkst hat, um
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