Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
zitterte am ganzen Körper und ihm liefen dicke Tränen über die Wangen.
„Denk gar nicht daran, mich zu bestrafen“, warnte Scott. „Du bist den Alten vollkommen gleichgültig, aber an mir haben sie großes Interesse. Ich bin hier der Boss, Jonas, nicht du. Das solltest du nicht vergessen.“ Er lächelte. „Wann fliegen wir eigentlich los?“
„Der Wagen steht draußen.“ Jonas zischte die Worte. Er hielt seine verletzte Hand umklammert und konnte nicht fassen, was gerade passiert war.
„Gut. Dann hole ich jetzt meine Sachen.“ Scott ging auf die Tür zu, blieb aber noch einmal stehen. „Es gab übrigens nur eine Person, die mir die Nachricht von unserem Treffen auf der Piazza überbringen konnte – der kleine Küchenjunge Giovanni.“
„Wieso erzählst du mir das?“
„Wieso nicht?“ Scott lächelte. „Wir stehen doch auf derselben Seite.“
Giovanni warf ein paar Dinge in einen kleinen Koffer: Kleidungsstücke, Briefe und Fotos. Er besaß fast nichts, was das Mitnehmen lohnte, aber Pedro war klar, was diese Aktion bedeutete. Er würde nicht zurückkommen. Sein Onkel Francesco Amati stand dabei, sah ihm zu und wurde zusehends nervöser.
„Wir haben keine Zeit mehr“, sagte er. „Ihr müsstet längst weg sein.“
Die anderen Familienmitglieder – Giovannis Großvater, diverse Tanten und Cousins – drängten sich im Nebenzimmer zusammen und beobachteten sie verstört und fassungslos durch die offene Tür. Pedro wusste, was in ihnen vorging, und es bedrückte ihn sehr, dass das alles seine Schuld war. Diese Familie hatte kein besonderes Leben geführt. Sie hatte jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen. Aber wenigstens hatten sie einander. Sie hatten diese Wohnung. Sie hatten in relativer Sicherheit zusammengelebt. Und dann war er aufgetaucht und über Nacht hatte sich alles verändert. Alles, was sie hatten, konnte schon bald zerstört werden. Im Castel Nuovo würden sie irgendwann erkennen, dass es Giovanni gewesen war, der Scott die Nachricht überbracht hatte. Wenn sie dann zwei und zwei zusammenzählten, musste ihnen klar werden, dass er auch Pedro zur Flucht verholfen hatte. Und dann würden sie kommen und ihn finden – und nicht nur ihn. Auch seine Familie würde darunter zu leiden haben.
Giovanni hatte alles gepackt. Er klappte den Koffer zu und Francesco griff sofort danach. „Angelo erwartet euch am Hafen“, sagte er in seiner eigenen Sprache. Angelo war der Bruder mit dem Boot. „Er fährt euch küstenaufwärts. Wenn ihr in Rom seid, wird er euch helfen, Carla Rivera zu finden. Sie hat mit deinem Großvater an der Universität gelehrt und war immer eine Freundin der Familie. Sie lebt mit ihrem Sohn und ihrer Tochter in der Nähe des Vatikans. Sie wird wissen, was zu tun ist.“ Er sah Pedro an und sprach auf Spanisch weiter. „Giovanni wird auf dich aufpassen. Zu zweit ist die Gefahr geringer, dass man euch aufhält. Du siehst sogar ein bisschen wie ein Italiener aus. Aber vergiss nicht, es ist in Italien gegen das Gesetz, ohne Ausweis unterwegs zu sein. Wenn ihr Polizisten oder andere Beamte seht, müsst ihr ihnen aus dem Weg gehen. Wenn sie euch anhalten, versucht auf keinen Fall wegzurennen, denn dann erschießen sie euch.“
„Es tut mir leid“, murmelte Pedro elend. Natürlich war ihm klar, wie sinnlos diese Worte waren. Sie drückten nicht einmal annähernd das aus, was er fühlte.
Wie hatte er das von Scott ahnen sollen? Sie waren nur eine Woche getrennt gewesen, doch in dieser kurzen Zeit hatte sich Scott so sehr verändert, dass er nicht wiederzuerkennen war. Er war Jamies Bruder. Die beiden waren Zwillinge. Aber irgendetwas war geschehen, das die beiden auseinandergerissen hatte und einen von ihnen zu einem …
Nein. Pedro konnte das nicht akzeptieren. Scott war gequält worden. Er hatte Angst gehabt. Vermutlich hätte sich jeder von ihnen unter diesen Umständen genauso entschieden. Pedro wollte einfach nicht glauben, dass Scott tatsächlich die Seiten gewechselt hatte.
Wieso war er dann so darauf erpicht, sofort zu verschwinden? Wieso fürchtete er, dass bewaffnete Soldaten bereits auf dem Weg zu ihnen waren?
Beim Gedanken an Scott fiel ihm das Geld wieder ein, das er von ihm bekommen hatte, und er zog es aus der Tasche. „Hier …“ Er bot es Francesco an. „Das können Sie haben.“
„Woher hast du das?“ Francesco starrte das Banknotenbündel entgeistert an.
„Scott hat es mir gegeben.“
„Ich will es nicht!“, fuhr Francesco ihn an,
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