Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
-zumindest kam es ihm so vor. Das ertrug er nicht. Er nahm Anlauf und sprang. In diesem Moment wäre es ihm sogar egal gewesen, wenn er in den Tod gestürzt wäre.
Aber er stürzte nicht. Er landete auf dem anderen Dach, versuchte sich abzurollen und schürfte sich dabei Ellbogen und Knie auf. Giovanni hatte bereits seinen Koffer geschnappt, und als Pedro wieder auf den Beinen war, steuerte er ihn auf die Feuertreppe am anderen Ende des Dachs zu. Mittlerweile war die gesamte Nachbarschaft in Aufruhr. Die Menschen strömten aus ihren Wohnungen, weil die Soldaten gekommen waren und es sicherer war, sich so weit wie möglich zu entfernen. Als Giovanni und Pedro unten ankamen, waren die Straßen bereits überfüllt. Sie mussten sich durchdrängen und tauchten in einer Gasse hinter dem nächsten Haus unter.
Hinter ihnen schrillte eine Pfeife. Wer immer im Castel Nuovo das Kommando hatte, überließ nichts dem Zufall. Es waren etwa zwanzig Mann im Gebäude und mindestens hundert weitere draußen. Das ganze Gebiet war abgeriegelt. Während Giovanni und Pedro gepackt und über die Aufteilung des Geldes diskutiert hatten, hatte sich draußen das Netz zugezogen und Pedro musste schweren Herzens einsehen, dass es wohl keinen Weg nach draußen gab.
Trotzdem liefen sie weiter. Es war früher Abend, aber es waren trotzdem noch massenhaft Menschen unterwegs, die jedes freie Fleckchen einnahmen. Die Menge wollte sie nicht durchlassen. Sie bewegte sich wie Sirup, wich nur zögernd auseinander und schloss sich hinter ihnen wieder. Giovanni hielt sich seinen Koffer vor die Brust und benutzte ihn als Ramme. Pedro warf einen Blick zur Seite und bemerkte mehrere Männer in schwarzen Uniformen, die sich mit ihren Schlagstöcken einen Weg zu ihnen freiprügelten. Giovanni rief etwas und sie bogen scharf ab. Das erwies sich als Fehler. Vor ihnen war eine Mauer, zu hoch zum Überklettern und kein Weg, der um sie herum führte. Sie saßen in einer Sackgasse fest.
Und sie waren gesehen worden! Die Soldaten wussten, wo sie waren. Pedro blieb atemlos stehen. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn und lief an seinen Armen herunter. Er fragte sich, ob Scott die Soldaten hergeschickt hatte, obwohl er genau wusste, dass sie andernfalls nie so schnell entdeckt worden wären. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht konnte Pedro ihn anflehen … auf den Knien, wenn es sein musste. Ein Wort von Scott, und die Familie, die ihm geholfen hatte, würde verschont werden. Aber Pedro wusste natürlich, dass es nie dazu kommen würde. Er wünschte, er wäre niemals nach Italien gekommen. Er hätte Peru nie verlassen sollen.
Der erste Soldat tauchte vor ihnen auf. Er hatte bereits seinen Revolver gezogen und richtete ihn auf Giovanni. Ein Junge sollte gefangen genommen werden, der andere getötet. Er wusste, wer welcher war.
Pedro schloss die Augen.
Der Boden begann zu beben. Es passierte so plötzlich und war so heftig, als wäre die ganze Erde von einer Riesenhand gepackt und auf den Boden geworfen worden wie ein Tennisball. Alle geraden Linien lösten sich auf; Mauerkanten, Türen, Fenster, Straßen. Zur gleichen Zeit gab es eine Explosion, wie Pedro sie noch nie gehört hatte. Es war ungeheuer laut. Und es hörte nicht auf. Es ging immer weiter und weiter, hallte durch die Stadt, hinauf in den Himmel und hämmerte gegen die Gebäude, als wollte es sie unbedingt zum Einsturz bringen. Die Erschütterungen wurden von einer Sekunde zur nächsten immer heftiger. Pedro fühlte sich, als würden ihm die Augäpfel aus dem Kopf geschüttelt. Er zuckte und schwankte, ohne etwas dagegen tun zu können. Er spürte den Boden nicht mehr. Und plötzlich verfärbte sich der Himmel schlagartig von schwarz zu rot, und da begriff Pedro, was los war.
Scott hatte ihn gewarnt.
Der Vulkan brach aus.
Der Soldat war verschwunden. Vielleicht war er weggerannt. Vielleicht war er erschlagen worden. Aber jetzt interessierte sich keiner der Männer vom Castel Nuovo mehr für die Jungen. Pedro schaute auf und sah leuchtend rote Flammen in den Himmel schießen wie ein riesiges Feuerwerk. Es gab ein unheimliches Rumpeln, gefolgt von weiteren Explosionen. Über den Dächern tauchten Feuerbälle auf wie herabstürzende Kometen, nur dass diese aufwärts flogen, abgeschossen in die Dunkelheit. Am anderen Ende der Gasse – von dort waren sie gerade gekommen – löste sich ein fünfstöckiges Wohnhaus mit einem Laden im Erdgeschoss Stück für Stück auf, einen Stein nach dem
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