Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
unterwegs, beladen mit so vielen Personen, dass sie kaum noch seetüchtig waren. Und am Anleger kämpften unzählige Menschen gegeneinander, schlugen und schrien aufeinander ein oder standen mit ausgestreckten Armen da und flehten darum, auf eines der Boote gelassen zu werden. Aber die Bootsbesitzer wehrten sie ab. Sie standen an Deck und schlugen mit Bootshaken oder Paddeln nach den panischen Leuten, während andere Besatzungsmitglieder mit Seilen und Tauen kämpften, um aufs offene Wasser zu kommen, bevor es zu spät war. Als Pedro stoppte und in der vergifteten Atmosphäre keuchend nach Luft rang, spürte er eine weitere gewaltige Erschütterung unter seinen Füßen und musste sich an Giovanni festhalten, um nicht zu fallen. Die beiden sahen fassungslos zu, wie der gesamte Kai, ein riesiger Betonklotz, plötzlich nach vorn kippte, als wollte auch er in See stechen. Wären sie etwas näher daran gewesen, hätten sie es nicht überlebt. Doch Dutzende andere, die weniger Glück hatten, stürzten in die tosende See. Sie hatten keine Chance. Überall waren Schiffe, die von den Wellen hin und her geworfen wurden. Viele der Unglücklichen wurden zerquetscht. Der Rest ertrank vermutlich.
Giovanni sah sich panisch um. Der Wind peitschte ihm durch die Haare. „Angelo …“ Er schrie noch etwas, aber das meiste wurde von dem Lärm verschluckt, der um sie herum herrschte.
Pedro fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, herzukommen. Etwa die Hälfte der Menschen aus der Stadt schien denselben Einfall gehabt zu haben. Viele Boote waren bereits weg. Einen verrückten Moment lang musste er an einen Jahrmarkt denken, den er einmal in Lima gesehen hatte. Er war erst neun oder zehn gewesen und ihn hatte der Autoscooter fasziniert, weil so viele von diesen kleinen Wagen auf so eine kleine Fläche gepasst hatten. Dieser Hafen sah genauso aus … nur ohne die Lichter und die Musik. Es war eine höllische Szenerie der Zerstörung, als die großen Schiffe in dem aufgewühlten schwarzen Wasser gegeneinanderkrachten.
„Da!“, brüllte Giovanni und zeigte in eine Richtung.
Wie durch ein Wunder war das Boot seines Onkels noch da und wartete auf sie. Vielleicht hatte die aufgebrachte Menge es übersehen, weil es so klein war und so zerbrechlich wirkte; ein sieben Meter langes Fischerboot mit zwei Segeln und einer kleinen Kabine. Sein Name Medusa war mit goldener Farbe auf den blauen Rumpf gemalt. An Bord waren drei Männer. Zwei von ihnen klammerten sich verzweifelt an die Taue, mit denen das Boot am Kai festgemacht war. Der dritte, ein dunkler bärtiger Typ, der vollkommen durchnässt war, hielt nach ihnen Ausschau.
„Angelo!“, rief Giovanni.
Der Mann hörte ihn zwar nicht, entdeckte sie aber einen Moment später, als sie auf ihn zurannten. Plötzlich waren nicht mehr so viele Menschen um sie herum. Pedro sprang über einen gezackten Riss im Beton. Sekunden zuvor war er noch nicht da gewesen. Der ganze Hafen brach auseinander und große Betonbrocken fielen ins Meer. Die Luft wurde immer dicker. Jeder Atemzug war eine Qual. Kehle und Lunge fühlten sich an wie verbrüht.
Das Boot bewegte sich so heftig, als wäre es ein lebendiges Tier, und Pedro fragte sich, wie es unter diesen Umständen segeln sollte. Der Wind war viel zu stark und prügelte in kurzen, harten Böen auf sie ein. Die Segel peitschten, als wollten sie sich vom Mast losreißen. Aber als er sich dicht gefolgt von Giovanni von Angelo an Bord helfen ließ, hörte er ein metallisches Husten und Rattern und erkannte, dass die Medusa tatsächlich noch eine intakte Maschine besaß und die Männer sogar genügend Treibstoff gebunkert hatten.
Sie legten sofort ab und der Abstand zwischen ihnen und der Pier vergrößerte sich schnell. Pedro verlor das Gleichgewicht und fiel aufs Deck. Als er zurückschaute, sah er, wie ein Mann und zwei Frauen auf sie zusprangen in der Hoffnung, dieses letzte Boot noch zu erreichen. Aber sie waren schon zu weit weg. Alle drei fielen in das aufgewühlte schwarze Wasser. Pedro sah keinen von ihnen wieder auftauchen.
Dann gab es ein Brüllen wie am Ende der Welt, ein Donnern, als würde das Universum in zwei Teile gespalten. Aus dem Vesuv schoss eine in sich gedrehte Flammensäule in den Himmel. Während sich die Medusa aus dem Hafen kämpfte, regnete es glühende Lavabrocken, die rund um sie herum aufs Wasser aufschlugen. Plötzlich waren sie von undurchdringlichen Dampfwolken umgeben. Pedro entdeckte ein größeres Segelschiff in
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