Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
etwa zwanzig Metern Entfernung. Es war unmöglich zu sagen, wie viele Personen an Bord waren. Jeder Zentimeter des Decks war besetzt. Doch noch während er fasziniert hinsah, wurde das Schiff von einem der Lavaklumpen getroffen, explodierte förmlich und versank brennend. Zwei andere Boote, die ausgewichen waren, um nicht mitgerissen zu werden, krachten zusammen und ihre Masten und Segel verknoteten sich sofort zu einem hoffnungslosen Knäuel. Weitere Passagiere, winzige Figuren, fielen ins Wasser. Es war der reine Wahnsinn. Alles wurde zerstört.
Aber die Medusa war davongekommen und raste durch das lackschwarze Wasser, auf dessen Oberfläche sich das Feuer spiegelte. Der Wind war jetzt sehr heiß. Er verbrannte sie. Über die Bordwand spritzte Pedro warmes Wasser ins Gesicht. Das Boot wurde von der wilden See gebeutelt. Er lag immer noch mit ausgebreiteten Armen und Beinen an Deck und konnte sich nicht bewegen.
Jemand schrie etwas auf Italienisch.
Pedro schaute auf und sah eine riesige Welle auf sie zukommen. So etwas wie das hatte er noch nie gesehen. Die Welle war so hoch wie ein zehnstöckiges Haus. Sie war gigantisch, grauenvoll und nicht aufzuhalten. Sie hielten direkt darauf zu. Pedro packte ein Seil und wickelte es wieder und wieder um seinen rechten Arm. Dann schloss er die Augen.
Die Medusa fuhr immer noch auf die Monsterwelle zu. Angelo umklammerte das Steuer und das blanke Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Welle war genau vor ihnen und sie dampften aufwärts, aufwärts und versuchten, es über den Kamm zu schaffen. Dann brachen Tausende Kubikmeter Wasser über sie herein und löschten alles andere aus. Pedro spürte, wie es auf ihn niederkrachte. Es fühlte sich an, als wäre das gesamte Gewicht der Welt auf ihm gelandet. Er konnte nichts sehen. Er konnte nicht atmen. Das Meer hob ihn hoch und trug ihn davon.
Und dann … nichts mehr.
MATT
23
„Wie viel willst du für ihn haben?“
Matthew Freeman stand mit gesenktem Kopf da und wartete darauf, dass er verkauft wurde. Seine Hände waren mit einem Strick gefesselt. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und ein dünnes blutiges Rinnsal lief ihm übers Kinn. Einen Moment zuvor hatte er etwas gesagt, ohne gefragt worden zu sein, und das war die Strafe dafür gewesen. Er war nicht allein auf der Plattform. Dort standen noch vier weitere Kinder, drei Jungen und ein Mädchen. Sie waren alle jünger als er. Das Mädchen konnte nicht älter sein als sieben oder acht und trug ein schwarzes Paillettenkleid, als wäre dies eine Art Schulfest. Einer der Jungen war schwer misshandelt worden und halb verhungert. Er stand teilnahmslos da und schwankte mit leerem Blick hin und her. Matt fragte sich, ob er wohl bis zum Ende des Marktes durchhalten würde, bevor er zusammenbrach.
Matt stach heraus. Die meisten Käufer hatten nur Augen für ihn – einen gut gebauten Fünfzehnjährigen mit breiten Schultern, kurz geschorenen Haaren und durchdringenden blauen Augen. Seine Kleidung und die Hautfarbe wiesen ihn als Ausländer aus und Amerikaner waren auf dem Sklavenmarkt besonders begehrt. Matt vermutete, dass keiner der potenziellen Käufer bestimmen konnte, woher er wirklich stammte. Diese Leute sprachen Englisch mit einem so furchtbaren Akzent, dass jedes Wort hässlich klang. Ihre Muttersprache war Portugiesisch. Aber seine Herkunft war ihnen ohnehin gleichgültig. In den letzten fünfzehn Minuten war er immer wieder angefasst und geschubst worden. Sie hatten ihm das Hemd aufgerissen, um sich die Muskeln an Brust und Schultern ansehen zu können. Seine Augen, Ohren und der Hals waren begutachtet worden und einer der Käufer hatte sich sogar vergewissert, dass er keine Kopfläuse hatte. Er war gesund. Mehr interessierte nicht. Es bedeutete, dass er mehr wert war.
Natürlich lagen Welten zwischen Matt und den armen Kindern, die mit ihm verkauft werden sollten. Er war erst vor fünf Wochen nach Brasilien gekommen, aber sie waren hier aufgewachsen und verkauft worden, sobald ihre Eltern nichts mehr zu essen hatten, und dann waren sie noch zwei oder drei Mal weiterverkauft worden, jedes Mal zu einem geringeren Preis. Der Gedanke, wozu man sie gezwungen hatte, ließ Matt schaudern. Harte Arbeit, Dienst als Hauspersonal … oder Schlimmeres. Vielleicht war es besser, es nicht zu wissen.
Und jetzt war er an der Reihe.
Es war Matt nicht gestattet, jemanden anzusehen. Wenn er auch nur wagte, den Kopf zu heben, hagelte es Stockschläge. Trotzdem konnte
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