Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
gesehen, aber gehört, wie sie irgendwo oberhalb des Türgriffs rasselnd durch den Riegel gezogen worden war. Immer noch auf der Matratze liegend stellte er sich den Riegel vor, die Schrauben, mit denen er am Holz befestigt war. Er hatte das Bild vor Augen. Er hielt es dort fest und schickte einen Befehl los. Wie sonst sollte er es beschreiben? Eine Gedankenwelle? Eine Lenkwaffe? Er befahl dem Metall einfach, dass es brechen sollte, und einen Moment später hörte er, wie es genau das tat. Es knackte, als hätte er einen Bolzenschneider benutzt.
Seine Kräfte hatten sich seit ihrer Ankunft in Südamerika verstärkt. Als die Tage vergingen, merkte er immer deutlicher, dass er seine Gedanken nun ebenso mühelos einsetzen konnte wie früher die Fäuste. Er konnte Gegenstände bewegen – sogar, wenn sie um ein Vielfaches schwerer waren als er selbst. Wenn er gewollt hätte, hätte er den Lastwagen, der sie hergebracht hatte, mühelos stoppen können, indem er dem Motor einfach befahl, sich selbst in Stücke zu reißen. Vielleicht wäre das der einfachere Weg gewesen, aber die Neugier, wohin sie ihn bringen würden, hatte dann doch gesiegt. Außerdem würde er den Lastwagen noch brauchen.
Die Tür seiner Zelle schwang auf. Das grelle elektrische Licht von den Bogenlampen fiel zu ihm herein. Er brauchte Dunkelheit. Er dachte an das Generatorhäuschen, stellte sich den Mechanismus darin vor, die Zylinder, die Drähte. Wieder schickte er einen seiner Gedankenbefehle los. Sofort gingen alle Lichter aus. Auf die Dunkelheit folgte schon Sekunden später Geschrei.
Matt stand auf und trank sein Wasser aus. Er fühlte sich gut. Er hatte alles unter Kontrolle.
Es war Zeit zu gehen.
24
Es war kein Mond am Himmel, keine Sterne. Auf der Anlage herrschte undurchdringliche Schwärze. Als Matt den Lagerraum verließ, in den sie ihn eingesperrt hatten, hörte er, wie die Männer auf Portugiesisch herumschrien, und sah die Lichtkegel von Taschenlampen in der Dunkelheit herumhuschen. Er ließ sich Zeit. Die Männer würden sich alle auf den Generator konzentrieren und versuchen, ihn wieder in Gang zu bringen. Das bedeutete, dass sie keine Zeit hatten, nach ihm zu sehen, und wenn er es geschickt anstellte, würde er verschwinden können, bevor überhaupt jemand merkte, dass er weg war.
Das Tor im Palisadenzaun war offen. Mitten im Urwald, weitab von allem, machte ein verschlossenes Tor keinen Sinn. Außerdem hatte der Drogenbaron genug Männer, um es mit einer ganzen Armee aufzunehmen. Matt hätte einfach hinausmarschieren können, aber er brachte es nicht über sich. Da war dieser andere Junge, der mit ihm hergebracht worden war. Obwohl Matt nicht einmal seinen Namen kannte, fühlte er sich für ihn verantwortlich. Immerhin hätte er selbst jetzt ebenso gut an seiner Stelle sein können. Es war einfach Pech für den Jungen gewesen, dass der Arzt ihn als Ersten ausgewählt hatte, so beiläufig, wie man eine Münze warf. Er musste wissen, was sie mit dem Jungen vorhatten, und es wenn möglich verhindern. Wenn es noch nicht zu spät war, konnten sie gemeinsam fliehen.
Er musste den Hof überqueren und zurück zu den Durchgängen auf der anderen Seite gehen. Dort hatte er die Labore gesehen und irgendwo dort hatten sie den Jungen hingeschleift. Matt wagte nicht, einfach über den Platz zu laufen. Es kamen zu viele Männer aus allen Richtungen herbei, die alle das Generatorhäuschen ansteuerten. Also blieb Matt dicht am Rand und huschte an dem Haus mit der Schaukel und der Rutsche vorbei. Er hörte, wie im Haus etwas gerufen wurde – es war eine Männerstimme, tief und knurrig. War das der Drogenbaron, den das Geschrei aus dem Schlaf gerissen hatte und der jetzt wissen wollte, was los war? Ein Wächter rannte an Matt vorbei, nur ein paar Meter entfernt, aber er sah ihn nicht. Etwas weiter weg hörte Matt einen Hund bellen. Er erstarrte und drehte sich nervös um. Hunden machte die Dunkelheit nichts aus. Sie würden ihn trotzdem riechen. Wenn der Drogenbaron irgendwo in der Nähe seines Hauses Wachhunde hatte, steckte er in Schwierigkeiten.
Da er immer noch nicht entdeckt worden war, beschleunigte er seine Schritte und lief an den Bögen entlang, jetzt auf der anderen Seite als bei seiner Ankunft. Etwa ein halbes Dutzend Taschenlampen hatte sich inzwischen beim Generator versammelt. Ihre Lichtkegel kreuzten sich in der Dunkelheit und erlaubten Matt kurze Blicke auf Männer mit unrasierten Gesichtern und zerknitterten Kleidern,
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