Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
Bild der Jungfrau Maria erschienen. Die kleine Tür mit dem fünfzackigen Stern, die hinter dem Altar verborgen war, hatte nie viel Aufsehen erregt.
Belém war fast vollständig verlassen. Die paar Tausend Menschen, die noch da waren, brachten sich entweder gegenseitig um oder ließen Krankheiten und Hunger diese Arbeit machen. Matt und Lohan hatten schnell erkannt, dass sie viele Jahre fort gewesen und in eine Welt zurückgekehrt waren, die ganz anders aussah als die, die sie verlassen hatten. Noch schlimmer aber war, dass die Tür in der Kirche nicht mehr funktionierte. Sie saßen hier fest.
Für Matt war es ein Schock, plötzlich von Richard getrennt zu sein. Nach allem, was sie zusammen erlebt hatten, war ihm nie in den Sinn gekommen, dass sich ihre Wege irgendwann trennen würden. Außerdem gab er sich die Schuld für das, was passiert war, und diese Vorstellung belastete ihn sehr. Er hatte in diesen letzten Momenten im Tai Shan Tempel nicht klar denken können. Hätte er nur ein einziges Wort gebrüllt, einen Zielort, wären sie alle zusammen angekommen. Es hätte London sein können, Cuzco oder Lake Tahoe – irgendwo. Stattdessen hatte er zugelassen, dass alle kopflos durch die Tür stürmten, was dazu geführt hatte, dass sie jetzt über die ganze Welt verstreut waren.
Und doch war von allen Reisegefährten, die er hätte erwischen können, Lohan zweifellos der effektivste. Er hatte sein ganzes Leben lang für eine der gefährlichsten Organisationen Asiens gearbeitet. Er sprach fünf Sprachen, darunter auch Portugiesisch. Als sie ein paar Tage nach ihrer Ankunft in den Außenbezirken von Belém von einer Bande überfallen worden waren, hatte Lohan so schnell und skrupellos reagiert, dass sie einen Toten zurückließen und zwei weitere, die ein Fall für die Intensivstation waren. Außerdem wollte Lohan nichts davon hören, dass sich Matt die Schuld für das gab, was nach ihrer Flucht aus dem Tempel passiert war.
„Du musstest uns von dort wegbringen“, sagte er. „Und das hast du getan. Es war keine Zeit mehr, sich hinzusetzen und eine Landkarte zu studieren, also verschwende deine Kraft nicht damit, darüber zu brüten. Es macht doch sowieso keinen Unterschied. Wenn wir alle an einem Ort gelandet wären, hätten die Alten dort schon auf uns gewartet und wir wären alle geschnappt worden. Vielleicht ist es so besser. Wenigstens weiß niemand, wo wir sind.“
Dass sie nach Süden gegangen waren, hatte zwei Gründe: Sie mussten den Alten aus dem Weg gehen und überleben. Da sie kein Geld hatten, mussten sie ihr Essen stehlen – auch hier erwies sich Lohan als ausgesprochen kaltblütig, und Matt merkte schnell, dass er rücksichtslos jeden tötete, der sich ihm in den Weg stellte. Nicht dass er deswegen mit ihm diskutiert hätte. Bei einem Mann wie ihm wäre das sinnlos gewesen. Auf ihrer Reise hatten sie erfahren, dass es in Salvador einen Flughafen gab, der noch in Betrieb war, und dass man vielleicht ein Ticket in eine andere südamerikanische Stadt oder sogar die Vereinigten Staaten kaufen konnte. Aber Salvador war mehr als zweitausend Kilometer entfernt. Und ein Flug würde Tausende Dollar kosten, die sie nicht hatten.
Der Sklavenmarkt war die einzige Möglichkeit, in Brasilien schnell zu Geld zu kommen. Wenn die Menschen verzweifelt waren, verkauften sie ihre Kinder. Wenn sie richtig verzweifelt waren, verkauften sie sich selbst. Als sie nach fünf Wochen auf der Straße nichts mehr zu essen hatten und erkannten, dass es nicht weiterging, hatte Lohan Matt verkauft. Einfach so. Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben.
Matt trank das Wasser. Es war warm und schmeckte nach Chlor, was bedeutete, dass es tatsächlich gereinigt worden war, wie er vermutet hatte. Er fragte sich, was aus dem anderen Jungen geworden war, und wünschte, er könnte ihm helfen, doch ihm war klar, dass er erst spät in der Nacht etwas unternehmen konnte. Irgendwann döste er ein. Er schlief nicht richtig, sondern dämmerte eher vor sich hin. Er wollte wieder in die Traumwelt, aber nicht in dieser Nacht. Er hatte genug anderes zu tun und außerdem hatte er Pedro, Scarlett, Jamie und Scott so lange nicht mehr gesehen, dass er nicht wusste, was er zu ihnen sagen sollte, wenn sie sich trafen. Als er die Augen wieder aufschlug, vermutete er, dass drei oder vier Stunden vergangen sein mussten. Das reichte. Es war Zeit zu verschwinden.
Auf der anderen Seite war die Tür mit einer Kette verschlossen. Matt hatte sie zwar nicht
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