Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
die herauszufinden versuchten, was mit ihrem Generator los war. Matt wusste, dass sie auf Zahnräder und Kolben starren würden, die sich auf unerklärliche Weise verbogen hatten, und auf Kabel, die durchgerissen waren. Und wenn sie keinen zweiten Generator hatten, würde das nächste Licht, das sie zu sehen bekamen, das der aufgehenden Sonne sein.
Doch als er weiterschlich, fiel ihm auf, dass ein Raum immer noch beleuchtet war. Hinter den Fenstern war ein warmer gelber Lichtschein zu sehen … entweder Kerzen oder eine Öllampe. Matt bewegte sich auf dem gefliesten Weg vollkommen lautlos. Am Fenster angekommen, spähte er hinein.
Seit dem Tag, an dem er verhaftet und dann in die Pflegestelle im Norden von Yorkshire geschickt worden war, hatte Matt viele grauenhafte Dinge gesehen. Die letzten Minuten, die er am Ravens Gate verbracht hatte, und seine erste Begegnung mit dem König der Alten hätten eigentlich schon für den Rest seines Lebens ausgereicht. Aber ihm war sofort klar, dass er das, was er jetzt auf der anderen Seite des Fensters sah, nie wieder vergessen würde. Fast hätte er sich übergeben. Es war unfassbar, dass irgendein menschliches Wesen so abartig, so grausam sein konnte.
Der Drogenbaron kaufte Jungen als sogenannte Maultiere, die Drogen in ihrem Körper von einem Land ins andere schmuggelten und Grenzen überquerten, ohne verdächtigt oder aufgehalten zu werden. Matt wusste, dass solche Kuriere bereits nach London und in andere Großstädte geflogen waren, bevor sein Abenteuer begonnen hatte. Aber dieser Drogenbaron hatte das Ganze auf die Spitze getrieben. Der brasilianische Junge lag auf einem Operationstisch und der Arzt und zwei Pfleger beugten sich mit blutigen Handschuhen über ihn. Die Operation war durch das plötzliche Verlöschen des Lichts unterbrochen worden.
Sie hatten ihn aufgeschnitten und benutzten seinen Körper als Versteck für viele Päckchen mit weißem Pulver. Die Päckchen wurden in seinen Brustkorb gepackt und rund um seinen Magen. Organe, die nicht lebenswichtig waren, hatte der Arzt entfernt, um mehr Platz zu schaffen. Im Moment sah man von dem Jungen nicht viel mehr als eine glänzende Masse aus Blut und Plastik, aber Matt war klar, dass sie ihn wieder zunähen würden und er vermutlich am Leben blieb. Er würde dorthin reisen, wo die Drogen hin sollten, und dann würden sie ihn noch einmal operieren und die Beutel wieder herausholen. Wie oft würde er das überstehen, bevor es ihn umbrachte?
Und er hätte der Nächste sein sollen. Hätte der Doktor anders entschieden, würde jetzt er dort in Narkose liegen. Matt musste gegen seine Wut ankämpfen. Wenn er ihr freien Lauf ließ, würde er sie alle töten … den Arzt, seine Helfer und auch den Jungen. Vielleicht war der Tod für ihn eine Erlösung. Aber das war nicht Matts Entscheidung. Ihm war klar, dass er nichts mehr für ihn tun konnte. Er würde ihn zurücklassen müssen.
„Quem sáo voce?“
Die Worte kamen aus der Dunkelheit. Matt fuhr herum, ärgerte sich über sich selbst und sah sich einem Wachmann gegenüber. Er hatte sich so sehr auf die grauenvollen Vorgänge auf der anderen Seite der Scheibe konzentriert, dass er den Typen nicht gehört hatte, und jetzt war es zu spät. Der Mann wollte Alarm schlagen und Matt bezweifelte, dass seine Kräfte ausreichten, um an den Hunden, dem Drogenbaron und den Männern mit den Maschinengewehren vorbeizukommen. Wieso hatte er auch nach diesem Jungen sehen müssen, den er gar nicht kannte? Seine Aufgabe – seine Pflicht – war es, in einem Stück von hier zu verschwinden.
Der Mann öffnete den Mund, um loszubrüllen, doch dann starrte er Matt mit großen Augen an, in denen sich das Licht aus dem Operationssaal spiegelte. Er kippte nach vorn. Aus seinem Rücken ragte ein Messergriff. Das Messer war in fast kompletter Dunkelheit geworfen worden, hatte sich in der Luft zweimal um sich selbst gedreht und dann sein Ziel getroffen.
Lohan kam lautlos angerannt. „Matt?“, wisperte er.
„Ja …“
„Ich dachte doch, dass ich dich auf der anderen Seite herumschleichen sah. Was machst du hier?“
„Ich wollte nur nach jemandem sehen.“
Lohan folgte Matts Blick durchs Fenster und sah, was dort vor sich ging. Er verzog keine Miene und Matt wurde klar, dass er in seiner Zeit bei den Triaden sicher Drogen durch ganz Asien und Europa geschmuggelt hatte. Wahrscheinlich hatte auch er dazu Kinder benutzt. Wenn es in seine Pläne passte, hatte er sie vermutlich auch
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