Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
aufgeschnitten. Lohan war acht Jahre älter als Matt, ein paar Zentimeter größer, schlank und merkwürdig emotionslos. Auffällig war nur die dünne Narbe, die diagonal über seine Lippen verlief – ein Andenken an seine kriminelle Vergangenheit. Genau das war er. Ein Krimineller. Dass er gerade einen Mann getötet hatte, ließ ihn vollkommen kalt. Wahrscheinlich hatte es vorher schon Dutzende anderer gegeben.
„Diese Leute sind Bastarde.“ Lohan äußerte diese Bemerkung ganz sachlich. „Willst du etwas dagegen unternehmen?“
„Ja. Aber wir sollten verschwinden.“
„Ganz meine Meinung. Ich habe uns einen Jeep organisiert. Um ihre anderen Fahrzeuge habe ich mich gekümmert. Lass uns gehen.“
Sie ließen den toten Wachmann und das matte Licht des Operationssaals hinter sich zurück. Die meisten anderen Wachen standen noch um den Generator herum und so hielt niemand sie auf, als sie auf die Fahrzeuge zugingen, die in der Nähe des Tors parkten. Die Wolkendecke war aufgerissen und etwas Mondlicht fiel auf die Erde, worüber Matt sehr froh war. Sie würden es brauchen, um sicher durch den Urwald zu fahren. Lohan zeigte auf einen Jeep und Matt eilte darauf zu. Dabei wäre er beinahe über ein Paar Beine gefallen. Sie gehörten einem weiteren Wachmann, der mit einer dünnen Schnur um den Hals am Boden lag. Nach der langen Zeit, die er mit Richard verbracht hatte, fiel es Matt immer noch schwer, sich an einen Begleiter zu gewöhnen, der mit einer solchen Selbstverständlichkeit Menschen umbrachte.
Sie stiegen in den Jeep und zogen leise die Türen zu. Lohan startete den Motor und sofort tauchte ein weiterer Wächter auf, der bereits sein Maschinengewehr hochriss. Lohan trat aufs Gas. Der Jeep machte einen Satz nach vorn und der Mann musste aus dem Weg springen. Jemand brüllte etwas. Aber dann waren sie schon durchs Tor und auf der Piste. Matt musste wieder daran denken, was Lohan gesagt hatte. Irgendwie hatte er es geschafft, die anderen Fahrzeuge lahmzulegen, ohne gesehen zu werden. Man würde sie also nicht verfolgen.
Sie fuhren langsam an den niedrigen Bäumen und Sträuchern vorbei. Lohan deutete auf den Rücksitz. „Ich hab dir Brot, Käse und Wasser mitgebracht.“
„Danke.“ Matt griff nach hinten. Er hatte seit zwanzig Stunden nichts mehr gegessen und ihm knurrte der Magen.
„Das war ziemlich teuer. Wirklich eine Schande, dass wir auf dem Markt nicht mehr für dich gekriegt haben. Dein Verkaufswert sinkt.“
„Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal dich verkaufen“, schlug Matt vor.
Es war Lohans Idee gewesen. Wenn sie quer durch Brasilien reisen wollten, brauchten sie Geld, und es gab nur eine Art, schnell welches zu verdienen. Bisher hatte Lohan Matt bereits drei Mal in verschiedenen Dörfern verkauft und jedes Mal knapp zweihundert Dollar kassiert. Dann war er ihm gefolgt und hatte ihn gerettet. Die ersten beiden Male war es einfach gewesen. Matt war zur Farmarbeit eingesetzt worden und dort hatte es kaum Sicherheitsvorkehrungen gegeben. Aber sein neuestes Abenteuer hatte beiden klargemacht, dass es in Brasilien noch viel schlimmere Dinge gab als nur den Sklavenhandel. Zwar hatten sie jetzt fast sechshundert Dollar in der Tasche, aber das Risiko wurde zu groß.
„Wie bist du hergekommen?“, fragte Matt, während er einen Bissen Brot kaute.
„Ich bin mit dir gefahren. Oben auf dem Laster.“
Lohan war auf der Plane gewesen! Matt hatte ihn nicht auf- oder abspringen gehört. Aber das wunderte ihn nicht. Lohan konnte bei hellem Tageslicht einen Raum voller Menschen betreten, ohne dass ihn jemand bemerkte. Das war nur eine der Fähigkeiten, die man ihm beigebracht hatte.
„Wie viel Benzin haben wir noch?“
„Der Tank ist voll und wir haben weitere hundert Liter in Kanistern. Die gute Nachricht ist, dass sie dich Richtung Süden transportiert haben, als sie dich zu Fernandinho brachten.“
„Wer ist Fernandinho?“
„Der Drogenbaron, der dich gekauft hat. Sie nennen ihn Fat Freddy – allerdings nicht, wenn er es hören könnte. Auf jeden Fall liegt seine Anlage hundertsechzig Kilometer südlich von Laua.“ Laua war der Name des Dorfes, in dem der Sklavenmarkt gewesen war. „Wenn du immer noch nach Salvador willst, sind wir jetzt auf dem Weg.“
„Hast du eine bessere Idee?“
„Nein. Aber sechshundert Dollar werden für Flugtickets nicht reichen.“
Die nächsten zwei Stunden folgten sie schweigend einer Straße, die vermutlich einmal einer der Hauptverkehrswege
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