Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
Natürlich gab es überall Lampen – Straßenlaternen und Bogenlampen und Glühbirnen über den Haustüren –, aber ich hatte noch nie gesehen, dass sie alle gleichzeitig brannten, und stets angenommen, dass sie einfach noch da waren, weil sich niemand aufraffen konnte, sie abzubauen. Aber jemand hatte den Generator angeworfen, einen Schalter umgelegt, und sie waren sofort angesprungen. Ihr grelles weißes Licht schien die Kirche, das Gemeinschaftshaus und alle anderen Gebäude förmlich aus dem Boden springen zu lassen und tauchte alle Wege in schwärzeste Schatten.
„Was passiert hier?“, flüsterte ich oder vielleicht dachte ich es auch nur, denn wir hatten keine Zeit mehr, herumzustehen und es herauszufinden, keine Zeit mehr, fasziniert zu betrachten, wie die Welt früher einmal ausgesehen hatte. Wir rannten los, ließen den hell erleuchteten Marktplatz hinter uns und schlugen den Weg ein, auf dem wir erst vor Kurzem ins Dorf zurückgekommen waren. Sogar die Häuser am Dorfrand waren teilweise beleuchtet und überall kamen eilig die Leute heraus und zogen sich im Laufen Pullover über den Kopf. Hätte man mir die Teilnahme an den Versammlungen erlaubt, wüsste ich vielleicht, wie der Notfallplan aussah. Alle liefen auf den Marktplatz zu. Die Außenwachen hatten die Kirchenglocke sicher auch gehört. Vielleicht hatte man ihnen gesagt, dass sie sich bis zur letzten Kugel verteidigen sollten. Vielleicht würden sie aber auch zurücklaufen und im Dorf helfen. Ich hoffte nur, dass irgendjemand wusste, was zu tun war.
Wir liefen am umgestürzten Bus vorbei und vor uns lag der tiefschwarze Wald wie eine undurchdringliche Mauer. Wir rannten zwischen die Bäume und Jamie hatte immer noch kein Wort gesagt. Und ich …? Ich wollte nur weg. Aber noch dringender wollte ich George sehen. Vielleicht hätte ich ihn überreden können, mit uns zu fliehen. Ich wollte auch gern Miss Keyland damit konfrontieren, was sie getan hatte. Ich fragte mich schon, ob wir uns nicht vielleicht ein Versteck suchen und in einer Stunde oder so, wenn sich alles wieder beruhigt hatte, ins Dorf zurückkehren konnten. Ich warf einen Blick zurück und sah, wie sich der Kirchturm vor einem weißen Lichtschein abhob, der wie ein Fächer in den Himmel strahlte. Das war das Dorf. Mein ganzes Leben. Ich konnte es doch nicht einfach hinter mir lassen, oder?
„Holly …“
„Was?“
Jamie hatte nach meinem Arm gegriffen und war stehen geblieben. Er hatte etwas gehört. Was war das? Es war ein hämmerndes Geräusch über uns am Himmel. Ich schaute hoch und sah etwas, das ich für drei Sterne hielt – zwei grüne und einen roten –, die unglaublich schnell durch die Dunkelheit sausten. Dann spürte ich einen Windstoß an der Wange und erkannte, dass ich irgendein Fluggerät anstarrte. Das war unglaublich. Es war unmöglich. Ein Hubschrauber oder so etwas war aus dem Nichts aufgetaucht. Er flog sehr niedrig und steuerte das Dorf an.
Mir lief ein Schauder über den Rücken. Ich hatte schon Flugzeuge gesehen – vielleicht vier oder fünf Mal. Ich wusste, dass es immer noch Leute gab, die flogen. Aber die Flugzeuge waren immer winzige Punkte am Horizont gewesen, kaum mehr als ein silbriges Glitzern am ansonsten leeren Himmel, lautlos und ein Teil jener anderen Welt. Aber dieser … Hubschrauber … landete hier bei uns. Er fiel bei uns ein.
Er machte mir aber auch bewusst, sofern das überhaupt noch nötig war, dass uns die Zeit davonlief. Die Polizei war schon da. Wir mussten weg. Mit einem neu erwachten Gefühl der Dringlichkeit stürmten wir in den Wald, ließen uns von ihm verschlucken und vom Dorf trennen.
Wir kamen jedoch nicht weit, bis Jamie mich wieder aufhielt. Diesmal brauchte ich nicht nach dem Grund zu fragen.
Es waren weiße Lichter, auch hier elektrisch, die in so breiter Linie auf uns zukamen, dass sie einen Halbkreis um uns bildeten. Welche Richtung wir auch einschlugen, wir konnten ihnen nicht ausweichen. Ich konnte die Lichter zwischen den Bäumen tanzen sehen wie riesige Glühwürmchen, aber ich wusste natürlich, dass es Taschenlampen in den Händen von Menschen waren. Wie viele waren das und wie waren sie so schnell hierhergekommen? Bevor ich anfangen konnte, sie zu zählen, ertönte eine Stimme und ich erkannte Tom Connor, der immer noch auf seinem Turm irgendwo über uns saß und in der Dunkelheit der Baumwipfel so gut wie unsichtbar war.
„Stehen bleiben!“
Es war derselbe Befehl, den er Miss Keyland gegeben hatte,
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