Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
in Saris. Es war ihnen wichtig, nach außen zu vermitteln, welche Länder sie vertraten – welche Länder sie zerstört hatten –, und es ließ keinen von ihnen vergessen, dass sie von allen Kontinenten kamen. Normalerweise fand im Anschluss an jede Sitzung eine Party statt, deswegen wollten alle so gut aussehen wie möglich.
Jonas schmunzelte. Es würde tatsächlich schon bald eine Party gefeiert werden, aber nicht die, mit der alle rechneten, und er war nur froh, dass man ihn nicht dazu eingeladen hatte. Ein paar Reihen hinter sich bemerkte er einen Mann, mit dem er früher im Londoner Büro zusammengearbeitet hatte. Wie war noch sein Name? Der Mann nickte ihm zu und Jonas nickte zurück. Insgeheim dachte er jedoch: In ein paar Stunden wirst du nicht mehr nicken, mein Lieber. Er konnte es kaum erwarten, den Ausdruck in ihren Gesichtern zu sehen.
Der Saal war seit seinem Bau kaum verändert worden. Die goldfarbenen Wände bogen sich immer noch nach innen und hoch über ihnen wölbte sich die Kuppel. Es gab eine Bühne mit einem Rednerpult, dahinter befand sich die große runde Tafel, auf der einst eine Weltkarte zu sehen gewesen war, eingerahmt von zwei Olivenzweigen, die natürlich ein Friedenssymbol darstellten. Doch dieses Symbol war durch ein anderes ersetzt worden:
Das Zeichen der Alten.
Jonas setzte sich neben einen Mann mit silbergrauen Haaren, dem er ebenfalls schon früher begegnet war. Er war Russe und hatte mit den Öl- und Gasvorkommen seines Landes Unsummen gescheffelt, was seine Kollegen witzeln ließ, dass man seine Erlaubnis brauchte, um in Kiew das Licht anzuschalten. Er hatte das Geld für sein Privatvergnügen verwendet und sich luxuriöse Anwesen überall auf der Welt, eine ganze Flotte von Jachten und ein Erstliga-Footballteam gekauft, das nur für ihn spielte. Hinter Jonas flüsterten zwei Frauen aufgeregt miteinander. Er kannte sie nicht, aber der Duft ihres Parfüms war so intensiv, dass ihm davon übel wurde. Am Ende jeder Reihe standen Platzanweiser, die die Nachzügler zu ihren Sitzen brachten. Alle waren rechtzeitig eingetroffen. Niemand hätte es gewagt, auch nur wenige Sekunden nach dem geplanten Beginn der Sitzung um elf Uhr dreißig zu kommen, denn das hätte die sofortige Entlassung bedeutet … oder Schlimmeres.
Die Sitzung begann tatsächlich pünktlich um halb zwölf. Es gab keine Ansage. Die Beleuchtung wurde nicht gedämpft. Der Vorsitzende von Nightrise betrat einfach die Bühne. Alle sprangen auf und applaudierten so lange, bis er das Rednerpult erreicht hatte.
Das dauerte ziemlich lange, denn der Vorsitzende war sehr alt und bewegte sich so langsam wie eine Schildkröte, an die er auch entfernt erinnerte. Er war kahlköpfig, und als er sich Schritt für Schritt vorkämpfte, ruckte sein Kopf auf dem ungewöhnlich langen Hals vor und zurück, was den Eindruck vermittelte, als kröche er unter seinem Panzer hervor. Seine Augen waren gerötet und wässrig. Seine Haut war verfärbt, von Altersflecken übersät und so runzlig, dass es aus der Ferne aussah, als hätte er Schuppen. Sein schwarzer Anzug konnte nicht verbergen, wie abgemagert und altersschwach er mittlerweile war. Es waren sicher nicht mehr als fünfzehn Schritte vom Rand der Bühne bis zum Rednerpult, aber er machte jeden dieser Schritte so bedächtig, als könnte es sein letzter sein.
Endlich kam er dort an. Der Beifall wurde frenetisch, als wollten ihn die Delegierten dafür feiern, dass er die Strecke geschafft hatte. Der Vorsitzende streckte eine Hand aus, um sich am Pult abzustützen, und genoss diesen Empfang mit einem Lächeln. Schließlich hob er dieselbe Hand mit ihren dürren Fingern und den grau verfärbten Nägeln und im Saal herrschte augenblicklich Stille. Die Delegierten lehnten sich auf ihren Stühlen zurück.
„Meine Freunde“, begann er. Seine Stimme krächzte und er hatte einen Akzent, der australisch oder amerikanisch sein konnte. Niemand wusste, wo er geboren worden war oder gelebt hatte. Wie viele von ihnen hatte er vermutlich den Großteil seines Lebens auf Reisen verbracht. „Zunächst möchte ich Sie alle in New York willkommen heißen. Ich weiß, dass viele von Ihnen eine weite Anreise hatten und dass Sie viel beschäftigte Männer und Frauen sind. Ich betrachte es als persönliches Kompliment, dass Sie Ihre Termine so arrangiert haben, dass Sie heute hier sein können. Was wir erreicht haben, ist in großem Maße Ihnen zu verdanken. Sie sind der innere Zirkel.
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