Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 6 - Feuerfluch
zusehen, wie sie klarkamen. Lohan schlich um den Außenzaun und achtete darauf, dicht am Waldrand zu bleiben. Matt hatte er bereits vergessen. Er konnte die vier Wachen sehen, doch trotz allem, was passiert war – der Einsturz der Mine, die Flucht, der Jeep, der in Flammen aufgegangen war –, wirkten die Männer erstaunlich entspannt. Natürlich war es denkbar, dass sie nichts von den jüngsten Ereignissen wussten, aber als Lohan näher kam, erkannte er den wahren Grund. Die Männer hatten Ganja geraucht, eine bewusstseinsverändernde Droge, die in ganz Brasilien angebaut wurde. Lohan lächelte. Zum ersten Mal seit mehr als einer Woche war das Glück auf seiner Seite. Wenn diese Männer merkten, dass etwas nicht stimmte, würden sie bereits tot sein.
In seiner Zeit bei der Triade hatte Lohan viele Kampftechniken studiert, darunter auch die der Ninjas, der berühmten Geheimagenten des kaiserlichen Japan. Eine dieser Techniken war das lautlose Anschleichen – lautlos und unsichtbar. Lohan wusste natürlich, dass er in dieser Hinsicht kaum mehr war als ein blutiger Anfänger. Er hatte einmal einen Attentäter in ein voll besetztes Restaurant geschickt, der einen Mann töten sollte, der von Freunden und Leibwächtern umgeben war, und niemand hatte den Killer herankommen sehen. Sie hatten seine Anwesenheit erst bemerkt, als der Schuss bereits gefallen war.
Lohan hatte aber zumindest die Grundlagen gelernt und nutzte seine Kenntnisse. Vom Tor zum Flugzeug waren es etwa dreißig Schritte über Gras und kahlen Boden ohne jede Deckung. Das Geheimnis des unsichtbaren Anschleichens war etwas Mentales, nichts Körperliches. Man musste mit seiner Umgebung verschmelzen, zur Umgebung werden. Ihm war klar, dass ihm die Zeit davonlief. Weitere Soldaten waren auf dem Weg. Trotzdem verlangsamte er seine Bewegungen und versuchte, sich zu konzentrieren. Erst als er sicher war, dass es klappen würde, machte er den ersten Schritt.
Er ging durchs Tor und auf die Männer zu. Sie redeten miteinander, erzählten sich schmutzige Witze und lachten. Nicht einer von ihnen schaute in seine Richtung. Lohan hatte die Waffe aus dem Jeep bei sich. Schritt für Schritt ging er auf die Männer zu, deutlich zu sehen und doch unsichtbar. Plötzlich war er da, genau vor ihnen. Sie griffen hektisch nach ihren Waffen, doch es war zu spät. Er erschoss alle vier aus nächster Nähe und sah zu, wie ihre Körper zusammensackten. Und dann gab es nur noch ihn und die Legacy. Er konnte kaum fassen, dass es geklappt hatte.
Ein paar Stufen führten hinauf ins Flugzeug. Die Kabinentür stand offen. Lohan hastete die Stufen hinauf, schaute sich nicht um und ging in Gedanken schon die Startvorbereitungen durch. Doch als er oben ankam, hörte er Metall knirschen, und bevor er irgendetwas tun konnte, schlug die Kabinentür zu wie der Eingang zu einer Grabstätte. Sein erster Gedanke war, dass jemand von drinnen die Tür geschlossen hatte, aber das war unmöglich. Da war niemand gewesen. Er griff nach dem Riegel und versuchte, die Tür wieder zu öffnen, aber sie rührte sich nicht. Lohan hatte eine böse Vorahnung und drehte sich langsam um.
Matt war es gelungen, sich bis an den Maschendraht zu schleppen, an den er sich jetzt klammerte. Er starrte das Flugzeug an und selbst aus dieser Entfernung konnte Lohan seine Wut sehen und spüren, wie verraten er sich fühlte. Er wusste auch, dass Matt die Legacy 600 hinwegfegen konnte … oder sie in tausend Stücke sprengen.
„Mach die Tür auf!“, brüllte Lohan. „Ich wollte nur rein und die Instrumente checken.“
Matt antwortete nicht.
Lohan stand nur da und wartete darauf, dass er etwas sagte. Die beiden waren etwa dreißig Meter voneinander entfernt. Es war eine Pattsituation. Matt konnte das Flugzeug nicht ohne Lohan fliegen. Aber Lohan konnte ohne Matt nicht weg. Der Regenwald war still und die Sonne brannte vom Himmel. Nichts rührte sich. Es war, als wären sie die letzten Menschen auf der Erde.
Lohan fluchte lautlos, rannte die Stufen wieder hinunter, vorbei an den Leichen und durchs Tor. Matt konnte sich nicht bewegen. Hätte er den Zaun losgelassen, wäre er zusammengebrochen. Er konzentrierte seine ganze Kraft auf das Flugzeug.
„Ich wollte zurückkommen und dich holen“, behauptete Lohan.
Matt sagte immer noch kein Wort. Das war auch nicht nötig. Seine Augen sprachen Bände.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich am Flugzeug waren, und Lohan rechnete die ganze Zeit mit weiteren
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