Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 6 - Feuerfluch
bin, dich zu sehen.“
Er hatte also Freunde. Eine Familie! Und er hatte sie freiwillig für so lange Zeit verlassen, nur um ihm zu helfen. Plötzlich sah Jamie den Reisenden mit ganz anderen Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie das für ihn sein musste. Einen Augenblick lang fragte er sich auch, ob es in Ordnung war, Holly dort draußen sich selbst zu überlassen. Sollte sie dies alles nicht ebenfalls hören? Aber wahrscheinlich war es besser so. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, brauchte sie ein wenig Zeit für sich.
Der Reisende war anscheinend derselben Meinung. Er nahm den Kessel vom Gaskocher und goss drei Becher Kaffee auf. Einen davon brachte er hinauf zu Holly, kehrte aber sofort zurück. Wieder waren die beiden allein in der Kajüte.
„Erzählen Sie mir jetzt von sich?“, fragte Jamie.
„Natürlich.“ Der Reisende gab Jamie den zweiten Kaffeebecher. „Ich arbeite für eine bemerkenswerte Person“, sagte er. „Ich glaube, du kennst sie. Ihr Name ist Susan Ashwood.“
Jamie erkannte den Namen sofort. Susan Ashwood war die Frau, die Matt geholfen hatte. Sie war ein Medium und konnte Kontakt zur spirituellen Welt aufnehmen. Außerdem war sie blind. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die man schnell vergisst.
„Sie hat mich in das Dorf geschickt“, fuhr der Reisende fort. „Sie wusste von der Tür in der Kirche und auch, dass die Alten sie noch nicht entdeckt hatten. Sie war sicher, dass einer von euch auftauchen würde, und hat mich gebeten, dort zu warten. Ich kann dir sagen -ich habe sie mehr als einmal verflucht und mich ebenfalls, weil ich ihr geglaubt habe. Aber jetzt bin ich froh darüber, weil sie von Anfang an recht hatte.“
„Also gibt es den Nexus immer noch“, stellte Jamie fest.
„Was in Großbritannien – und auf der ganzen Welt -passiert, ist der Grund, wieso der Nexus überhaupt gebildet wurde. Wir sind hier, um dir und den anderen Torhütern zu helfen. Darauf haben wir immer gewartet.“
„Können Sie mir helfen, nach London zu kommen? Zur St. Meredith’s Kirche?“
„Wir sind schon auf dem Weg dorthin. Wir benutzen das Kanalsystem, Jamie. Das ist die beste Art zu reisen. Es gibt keine Züge oder Flugzeuge mehr und die Straßen sind zu gefährlich, zu leicht zu kontrollieren. Aber die Kanäle waren schon immer verborgen. Sie schlängeln sich um die Dörfer herum, durch Felder und alte Industrieanlagen, und die Leute haben ganz vergessen, dass es sie noch gibt. Sie stammen aus einer anderen Zeit. Falls wir weiterfahren können, werden wir es bis in die Innenstadt von London schaffen.“
„Falls?“ Dieses Wort war Jamie nicht entgangen.
Der Reisende nippte an seinem Kaffee. Er hielt den Becher mit beiden Händen fest. „Es wird nicht ganz einfach“, gab er zu. „Im Moment sind wir noch auf dem Fluss unterwegs. Um in das Kanalsystem zu kommen, müssen wir die Four Ways Schleuse erreichen. Ich habe sie passiert, als ich von London kam, aber das ist ziemlich lange her. Wenn sie nicht mehr funktionsfähig ist, müssen wir zu Fuß weitergehen. Aber dann werden wir auf Ortschaften stoßen. Sie könnten noch bewohnt sein und jeder, der uns sieht oder hört, ist eine potenzielle Bedrohung. Irgendwann wird die Polizei nach uns suchen. Bis jetzt haben sie zum Glück keine Ahnung, dass wir auf einem Boot sind. Wenn sie es wüssten, wären wir längst tot.“
„Wie sieht es in London aus?“
„Ehrlich gesagt möchte ich darüber nicht reden. In ein paar Tagen wirst du es mit eigenen Augen sehen.“
Jamie gähnte. Plötzlich war ihm alles zu viel – alles, was geschehen war, und alles, was noch vor ihm lag.
Der Reisende merkte es natürlich. „Du solltest dich hinlegen. Du bist doch bestimmt vollkommen erledigt. Nimm am besten die Koje am Bug. Da ist es ruhiger.“
„Was ist mit Holly?“
„Ich bleibe bei ihr. Ab morgen wechseln wir uns am Steuer ab. Die Lady Jane ist einfach zu bedienen.“
„Haben Sie genug Treibstoff, um nach London zu kommen?“
„So viele Fragen, Jamie! Du darfst eines nicht vergessen – ich bin auf diese Reise vorbereitet. Ich habe sieben Jahre darauf gewartet. Und jetzt geh schlafen!“
Jamie schlief.
Fast sofort landete er in der Traumwelt, ein Stück von der Bibliothek entfernt, als wäre er nie fort gewesen, sondern hätte bei seinem letzten Besuch nur kurz die Augen geschlossen und sie jetzt wieder geöffnet. Sein erster Gedanke war, Ausschau nach seinem Zwillingsbruder Scott zu halten, aber er war nirgendwo zu
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