Horror Factory 05 - - Necroversum: Der Riss
Fehler gemacht zu haben, ließ sein Herz schneller schlagen, doch er zwang sich zur Ruhe. Noch war es nicht zu spät. Außerdem musste das alles nicht bedeuten, dass es auch mit ihm zu tun hatte.
Doch als er sich unauffällig umschaute, erkannte er, dass ihm der Weg zurück versperrt war. Eine Ansammlung von Obdachlosen und Jugendlichen hatte wie zufällig die Treppenstufen erobert. Auch von ihnen ging eine beinahe unwirkliche Stille aus. Obwohl keiner von ihnen in seine Richtung schaute, wusste Giuseppe, dass sie nur darauf warteten, dass er umkehrte.
Er dachte nicht daran, sondern beschleunigte seine Schritte. Aus den Augenwinkeln bekam er mit, wie immer mehr Menschen sich ihm aus sämtlichen Richtungen anschlossen. Sobald sie in seine Nähe kamen, schienen sie einen lautlosen Befehl zu erhalten. Sie wandten sich mitten im Schritt um und folgten ihm.
Im Gehen griff Giuseppe zum Handy. Es war nicht einfach, denn er trug seine dicken Clownshandschuhe. Er wählte eine eingespeicherte Nummer. Dreimal ging der Ruf durch, dann meldete sich eine Frauenstimme.
»Ich fürchte, es geht los, Rasalha«, flüsterte er gehetzt.
»Ich weiß«, sagte sie.
»Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Kann man so nicht sagen. Und bei dir?«
Giuseppe blieb stehen, drehte sich langsam um und schaute in die Richtung, aus der er gekommen war. Hunderte von Leuten verharrten ebenso wie er. Obwohl ihre Gesichter teilnahmslos wirkten, musste er unwillkürlich an eine Mauer denken.
Die Leute würden sich in dem Moment in Raubtiere verwandeln, in dem er auch nur einen Fuß in ihre Richtung machte. Abermals wandte er sich um und betrat einen der Bahnsteige.
»Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Wie sieht’s aus?«
»Schlecht«, sagte er.
»Hast du eine Ahnung, was passiert?«
»Nein, aber wir müssen die anderen warnen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es dafür nicht zu spät ist. Ich meine, ob sie mich lassen …«
In diesem Moment fiel Giuseppes Blick auf den riesigen Bildschirm auf der anderen Seite der Gleise. Das Bild des Papstes wurde eingeblendet. Ein Nachrichtensprecher verkündete mit ernster Miene die Neuigkeit. Darunter flackerten die Newsticker:
### Papst Benedikt soeben zurückgetreten ### Vatikan in Aufruhr ### Die Welt ist fassungslos ###
»Bist du noch dran, Beppo? Du musst dich um Syriah kümmern. Sie braucht Hilfe.«
Er lachte humorlos auf. »Ich brauche ebenfalls Hilfe. Und ich fürchte, ich kenne jetzt die Wahrheit …«
Er erkannte seinen Fehler in dem Augenblick, als er den Stoß in den Rücken erhielt. Er hatte ein paar Sekunden lang nicht aufgepasst, hatte sich ablenken lassen von seinen Gefühlen.
Bevor er auf die Schienen prallte, hörte er die kreischenden Bremsen der U-Bahn, die in diesem Moment in den Bahnhof einfuhr.
9
Jan
11. Februar, 10:45 Uhr
»Der schlimmste aller Zombies ist die Einsamkeit.«
– Monica Mirelli
Der Morgen des elften Februar würde für Jan bis in alle Ewigkeit der Beginn des Schreckens bedeuten. Bisher hatte er immer geglaubt, sein Pech hätte mit seiner Geburt begonnen. Doch was bedeutete schon sein lausiges Schicksal angesichts des Grauens, dem er an diesem Montag zum ersten Mal begegnete?
Seine Ärzte nannten es spastische Tetraparese, verbunden mit einer Dysarthrie. Seine Mutter sprach von spastischer Lähmung, wenn sie irgendeinem Trottel zu erklären versuchte, warum ihr Sohn sabbernd und schielend im Rollstuhl saß.
Seine Schwester Laura war da cooler. Die nannte ihn auch vor anderen »voll den Spastiker« oder kurz »Spasti«. Das war auf jeden Fall besser, als in der Schule als »Sabberheini« oder »Opfer« bezeichnet zu werden. Und überhaupt war es etwas ganz anderes, ob Laura ihn »Spasti« nannte oder jemand aus seiner Klasse, der ihn damit beleidigen wollte.
Doch es gab noch etwas Schlimmeres. Das waren die Lehrer, die Mitleid für seinen Zustand heuchelten und um Rücksicht für einen »Behinderten« warben. Diesen scheinheiligen Lügnern hätte er am liebsten ins Gesicht gespuckt. Manchmal tat er das sogar. Es war interessant, wie diese Heuchler sich dann jedes Mal peinlich berührt den Speichel abwischten. Wenn er sie dann angrinste, schaute er selten in eine verständnisvolle Miene. Meistens blickte ihm dann blanker Abscheu oder unverhohlener Hass entgegen – je nachdem, ob sie ihn durchschaut hatten.
Seit einer Stunde lag er wach im Bett. Seine rechte Schulter, auf der er die ganze Nacht gelegen hatte, hätte eigentlich schmerzen müssen, doch fühlte
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