Horror Factory 05 - - Necroversum: Der Riss
er nach hundert Metern an eine Kreuzung.
Er hatte weder Hunger noch Durst, aber zumindest würde er dort seine seltsame Mitfahrerin abliefern. Irgendjemand würde sich schon um Mona kümmern. Vielleicht war sie sogar in der Gegend bekannt. Und garantiert würde man ihm dort auch sagen können, wie er wieder zur Autobahn gelangte.
In diesem Moment kicherte Mona. Es klang bösartig und gemein. Als Mark zu ihr hinüberschaute, veränderte sich ihr Gesicht. Das dunkle Haar wurde dünn und weiß, die Haut runzelig und gelb. Sie würgte, spuckte Blut und mehrere Zähne aus. Die ganze Haut war in Bewegung, als wären keine Knochen darunter, sondern ein Heer krabbelnder Ameisen.
Das war nicht mehr Mona.
Es war seine Mutter, die neben ihm saß.
Und sie kicherte noch immer mit der Mona-Stimme, die ihm einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.
Instinktiv trat er auf die Bremse. Schlingernd kam der Wagen am Straßenrand zum Stehen.
»Willst du deiner Mutter keinen Kuss geben, mein Junge?«, hörte er die Mona-Mutter krächzen.
Als Mark erneut hinschaute, war die Illusion perfekt. Für wenige Sekunden blickte er tatsächlich in das gütige Gesicht seiner Mutter. Er sah die Liebe in ihren strahlend blauen Augen, das milde Lächeln auf ihren Lippen.
»Mutter …« Mark war verblüfft. Es war keine Illusion. Sie war es wirklich. Es war ein Wunder.
»Küss mich.«
Mark streckte die Hände nach ihr aus. Mona war vergessen, nur seine Mutter zählte noch.
»Küss sie nicht!«
Die Stimme riss ihn aus seinem Bann. Die Stimme seiner Mutter.
»Küss sie nicht! Sie will dein Leben!«
Noch während er verwirrt die Arme sinken ließ, verwandelte sich das Mona-Ding erneut. Die Haut löste sich und fiel wie eine schorfige Maske zu Boden. Darunter kam faulendes Fleisch zum Vorschein. Die Kreatur kreischte auf. Ihre zu Krallen ausgefahrenen Fingerknochen rissen das Fleisch von den Knochen, sodass Mark eine Totenfratze entgegenstarrte.
Mona heulte wie ein zorniger Wolf, dem man die Beute vor der Nase weggeschnappt hatte.
Aber sie war plötzlich nicht mehr das schlimmste Problem. Mark sah die schattenhaften Gestalten, die auf den Wagen zuhielten. Dahinter hatte der Himmel sich geteilt. Wie ein schwarzer Riss klaffte dort eine riesige Lücke, die die Gestalten ausspie wie ein gewaltiger Lavastrom.
Mark wusste nicht, was es war, was es bedeutete. Nur dass es keine Menschen waren. Dazu waren sie zu durchscheinend, zu wenig stofflich.
Gespenster?
Sah er tatsächlich Gespenster?
Ich kann Ihre Mutter für Sie suchen …
Davor also waren die Vögel geflüchtet.
»Fahr los!«, schrie Mona.
Ein Blick zur Seite bestätigte Mark, dass sie sich in das unschuldig wirkende Mädchen zurückverwandelt hatte.
Er zögerte nicht länger, legte den ersten Gang ein und raste davon.
WELCOME STRANGE
TEXAS CHAINSAW
15
Mehmet
11. Februar, 12:24 Uhr
»They gonna know me wherever I go …«
– Bruce Springsteen, A Night with the Jersey Devil
Seltsam, dachte Mehmet Hübsch, aber warum muss ich gerade jetzt daran denken, wie der Teufel hier hereinspaziert kam?
Mehmet stand hinter der Theke, wie am Abend zuvor, und spülte Gläser.
Von einem Moment auf den anderen war es dunkel geworden. Nicht stockdunkel, eher so, als hätte jemand das Licht draußen heruntergedimmt. Und das mitten am Tag.
Scheißwetter! Dabei hatte der Rosenmontag sonnig begonnen. Gar nicht weit entfernt, in Köln, tobte der Karneval. Angesichts des Wetters hatten sich noch mehr Jecken als sonst nach draußen getraut.
Mehmet blickte auf den Großbildschirm, auf dem vor einer Minute noch Bruce Springsteen The Night with the Jersey Devil zelebriert hatte. Er mochte Bruce, aber weil sich auch um kurz nach eins kein einziger Gast hatte blicken lassen, hatte Mehmet nach dem Video auf ARD geschaltet. Der Karneval interessierte ihn zwar nicht, aber diesmal wäre er gern dabei gewesen, inmitten der fröhlich feiernden Jecken, die die Kamera in Großaufnahme zeigte.
Im TCM war an Karneval tote Hose. Das war in den letzten Jahren immer so gewesen. Nur Fuzzy war da, aber der zählte nicht. Vielleicht würden zu später Stunde ein paar Köln-Heimkehrer den Abend bei ihm ausklingen lassen, aber mehr war nicht zu erwarten. Eigentlich hätte er gar nicht erst zu öffnen brauchen.
Aber der Tanz mit dem Teufel hatte Mehmet nicht schlafen lassen. Deshalb war er früh aufgestanden, hatte den Laden auf Vordermann gebracht, gefegt und geputzt. Nach langer Zeit hatte er
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