Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer
Blutflüsterer zum ersten Mal gehört und das Messer zum ersten Mal gesehen hatte.
Susi ging zu ihrem Bücherregal. Es wunderte sie nicht, dass die Stimme lauter wurde, je näher sie ihm kam. Auf einem Regalbrett lag etwas, das nur sie sehen konnte. Sie nahm es heraus, und das Etwas fiel zu Boden, lautlos, schwebend, wie eine Feder, doch als es liegen blieb, war es aus Metall und schwer.
Das Messer.
Genau wie damals.
Wie es dorthin gekommen war, wusste Susi nicht. Es spielte auch keine Rolle. Bestimmt war das Zauberei, und wer verstand das schon? Damals, als das alles angefangen hatte (als sie getötet hatte!), hatte sie eine Stimme zu diesem Bild gerufen, das in Papas Arbeitszimmer stand, und sie hatte das Messer aus dem Geheimfach im Bilderrahmen herausgezogen, obwohl es viel zu groß war, um in einem so kleinen Rahmen versteckt sein zu können.
Und genau wie damals wollte sie sich auch jetzt wehren, aber sie konnte nicht. Ganz leise drückte schon ein Jahr lang etwas auf ihre Seele, seit damals, seit …
Wichtig war nur das Auge. Das rote, kalte Auge, das aus dem Griff heraus auf sie schaute.
Es blinzelte nicht.
Kein einziges Mal.
Aber es redete zu ihr. Oder besser: Es flüsterte. Einen Mund brauchte es dazu nicht. Susi glaubte sowieso, dass die Worte direkt in ihrem Kopf entstanden. Weil der böse Geist aus dem Bild und dem Messer genau da hockte: in ihrem Kopf.
Das Mädchen bückte sich und hob die Klinge auf. Ganz vorsichtig, damit sie ja das Auge nicht abdeckte. Sie fürchtete sich auch davor, es zu berühren. Sie stellte es sich eklig vor. Sie hob es vor ihr Gesicht.
»Wie kann ich dir helfen?«, fragte sie freundlich. Wieso sie eigentlich freundlich war, wusste sie selbst nicht. Sie wollte es gar nicht. »Sag mir, wie kann ich dir helfen?«
»Geh wieder los«, flüsterte das Auge aus dem Messer und flüsterte vom Blut, das es brauchte.
Susi wollte nicht mehr töten, denn es war nicht schön gewesen, damals.
(Nicht schön? Es war die Hölle!)
»Aber dann sag mir«, verlangte Susi trotzig, »wieso du ausgerechnet zu mir gekommen bist! Und warum du in diesem komischen Bild gesteckt hast!«
»Es gibt Bilder«, sagte das Auge, »die durch Blut verdorben sind. Ich habe es verdorben, um darin abwarten zu können, bis ich ein besseres Gefäß finde. Eins wie dich, Susi. Als ich dich gefühlt habe, wusste ich, dass du die Richtige bist, um mir zu helfen. Du bist perfekt, meine Liebe … Und jetzt bist du schon fast so weit.« Die Pupille weitete sich: Das Auge lächelte. »Darum habe ich dich ausgesucht und bin aus dem Bild und dem Messer in dich hineingeklettert.«
»Du kannst also … zaubern?«
Das Auge lachte. »Aber ja, ja, natürlich kann ich das. Wieso auch nicht?« Die Klinge vibrierte ein wenig. »Und nun geh los! Diesmal probieren wir was anderes aus. Nimm deinen Schulranzen mit.«
»Ja, sicher«, antwortete Susi mechanisch und hob den Rucksack auf. Er war schwer, und es war, als würde Metall darin klappern. Was immer es war, ganz bestimmt nicht ihre Materialien für den Unterricht. Das Mädchen schulterte den Rucksack, und als es gehorchte und sich zu töten bereit machte, fuhr der Geist aus dem durch Blut verdorbenen Bild wieder vollends in sie hinein.
5
Ich habe Schmerzen, bis zum Ende
Die Schmerzen kamen zurück, gerade noch erträglich. Christianes Hände zitterten. Sie hatte gedacht, nach drei Stunden auf der Couch und ebenso vielen Schmerztabletten, das Schlimmste hinter sich zu haben. Und weil sie ohnehin nicht schlafen konnte, hatte sie versuchen wollen, die Einladungskarten zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag fertig zu basteln. Sie mochte selbst gebastelte Einladungen, auch wenn einige ihrer Freundinnen sie deshalb für … seltsam hielten.
Nun verkrampften sich ihre Finger um den Griff der Schere. Das kühle Metall brannte auf der Haut.
Sie bemerkte nur, dass Tränen über ihre Wangen liefen, weil ein Tropfen genau auf eine der Karten fiel und einen hässlichen Fleck hinterließ. Instinktiv hielt sie die Luft an. Sie glaubte, ihr Magen müsse sich umdrehen. Außerdem wurde ihr schwindlig – der Kreislauf, mal wieder. Wie immer, wenn die Migräne in die zweite Phase ging.
Verdammter Mist.
Daumen und Zeigefinger rutschten wie von selbst aus den Grifföffnungen. Christiane legte die Schere neben den Stapel aus dunkelblauem Kartonpapier, aus dem sie bereits zwanzig Postkarten geschnitten hatte. Sie hatte vorgesorgt, denn gute Organisation war alles.
Oder zumindest fast
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