Horror-Horoskop
Und dann dachte er an das Horoskop. Er konnte den Tisch nicht so gut verstecken, als dass er für alle Ewigkeiten verborgen blieb. Auch er war gezeichnet, auch wenn man es ihm nicht ansah und er noch immer so aussah wie vor dem Besuch des Höllenherrschers. Er musste fort aus Florenz geschafft werden. In ein anderes Land, wenn es eben ging, damit die Spuren verwischt wurden.
Allmählich verschwand der Druck von Nostradamus. Er fühlte sich wieder besser und merkte, dass seine eigenen Kräfte zurückkehrten. Es fiel ihm auch nicht mehr schwer, auf den Beinen zu stehen, aber er spürte den Durst, der seine Kehle aufgerauht hatte. In dieser Nacht wollte er nicht schlafen gehen, sondern Wein trinken. Einfach vergessen…
Die Schritte hatte er nicht gehört, dafür vernahm er das Schaben, als die Tür geöffnet wurde. Wegen des Durchzugs begannen die Flammen zu tanzen, sie bewegten sich zuckend und schufen ein Muster aus Schatten und Licht, das sich auf die Gestalt legte, die im Türrahmen stand. Es war Katharina von Medici! Sie hatte ihr Versprechen gehalten und war gekommen, um Nostradamus abzuholen.
Noch stand sie da, hatte ihr Haar gelöst, das wie eine schwarze Welle ihren Kopf umrahmte, und sie schaute dem Mann genau ins Gesicht.
»Hast du es fertig?« fragte sie.
Nostradamus nickte und deutete auf sein Stehpult, wo das in Leder eingeschlagene Buch zugeklappt lag. »Dort ist es, und die letzten Seiten sind ebenfalls geschrieben.«
Durch die Gestalt der Frau ging ein Ruck. Das genau war die Minute, auf die sie gewartet hatte. Zögernd streckte sie den Arm aus und fragte mit leiser Stimme, die man überhaupt nicht bei ihr kannte: »Darf ich es lesen?«
Nostradamus dachte an sein Versprechen. Gut, lesen konnte sie es. Sie brauchte nur nicht zu wissen, wie es zustande gekommen war. Deshalb nickte er und sagte: »Dir ist es geweiht. Du darfst es dir als erste anschauen. Und vielleicht auch als einzige außer mir.«
Katharina von Medici hatte verstanden. »Ist es denn so schlimm?« fragte sie.
Nostradamus blieb bei der lockeren Anrede. Das tat er immer, wenn er mit der Fürstin allein war. »Nimm und lies es.«
»Danke.« Sie lächelte plötzlich. »Aber nicht hier, Nostradamus. Dieses Gewölbe ist nicht der richtige Ort für diese Nacht. Er ist auch nichts für uns. Deshalb werden wir in meine Gemächer gehen und dort die restlichen Stunden verbringen.«
Nostradamus verbeugte sich. »Es wird mir eine Ehre sein, dir zu folgen.«
»Vergiss dein Buch nicht.«
»Nein, bestimmt nicht.« Nostradamus drehte sich um und nahm das Buch vom Pult. Bevor er ging, warf er dem Horoskop noch einen langen Blick zu. Er nahm sich vor, es nicht hier zu lassen. Es musste verschwinden, so wie er auch untertauchen und den Hof der Medici verlassen wollte, um nie mehr zurückzukehren.
Sorgfältig verschloss er die Tür hinter sich und presste sein Werk an sich. Die Fürstin war schon vorgegangen. Ihre Gestalt wirkte innerhalb der breiten und langen Ausmaße des Ganges verloren, so klein und schutzbedürftig. Im Schein der Fackeln hastete Nostradamus hinter der Frau mit den langen, dunklen Haaren her und holte sie auch bald ein. Von der Seite her schaute sie ihn an. »Du hast dir eine Belohnung verdient, Nostradamus!« flüsterte sie. »Eine besondere Belohnung, die ich dir in dieser Nacht erfüllen werde. Für dich wird es dann die Nacht der Nächte sein, das verspreche ich.«
Nostradamus gab keine Antwort. Er dachte nur an die Worte eines alten, weisen Propheten, der einmal gesagt hatte: »Der Teufel und eine schöne Frau. Wie dicht liegt doch beides zusammen…«
Er hatte recht behalten, dieser Mann…
***
Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Zuerst die muffigen Gewölbe, und hier dieser herrliche Duft, der die privaten Gemächer der Fürstin durchwehte. Kostbares Parfüm, Rosenöl, Gewürze aus fernen Landen, auch Räucherstäbchen genannt, kostbare Brokatstoffe und gedämpfter Kerzenschein, dazu die offenen Fenster mit den wehenden Gardinen davor, die so durchlässig waren, dass auch der Blütenduft des nächtlichen Gartens in die Gemächer wehte. Ein Traum.
Das hatte Nostradamus zuerst auch gedacht, als Dienerinnen kamen und ihn entkleideten. Sie führten ihn nackt in einen Raum, der als Badestube diente. Das Wasser schwappte bereits in einem im Boden eingelassenen kreisrunden Bottich, und von seiner Oberfläche stiegen die herrlichsten Düfte. Nostradamus musste in das Wasser steigen, konnte sich entspannen, bevor
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