Hosen runter: Roman (German Edition)
war das Ding so schwer zu lenken, dass ich prompt den Ständer mit den Body-Shape-Strumpfhosen rammte, wobei ihm das rote Tierchen runterfiel. Er krakeelte postwendend los, und zwar so laut wie eine Alarmanlage.
»Pssst, alles wieder gut«, bemühte ich mich, beruhigend auf ihn einzuwirken, während ich das nasse Teilmit spitzen Fingern aufhob. Ich wollte es ihm zurückgeben, aber da er es wahrscheinlich gleich wieder in den Mund nehmen würde, war es wohl besser, es vorher abzuspülen. Dazu musste ich nach hinten zur Personaltoilette ans Waschbecken, was ich ihm sagte. Auf Deutsch, nicht auf Chinesisch, aber er schrie trotzdem weiter. Ich rannte los, hielt das Entchen unter kaltes Wasser und eilte zu ihm zurück. Sein Köpfchen glühte inzwischen wie ein Cerankochfeld auf voller Hitze. Ich reichte ihm das Spielzeug, jetzt wollte er es jedoch offensichtlich nicht mehr und schlug es mir aus der Hand. Dabei flennte er, als hätte ihn sein Vater einfach bei einem völlig unvorbereiteten Versager in einem Höschenladen abgestellt.
Allmählich wurde ich nervös. Ich griff nach meinem Handy und wollte Markus anrufen, als mir einfiel, dass ich den Zwerg ja auf den Arm nehmen sollte. Also fummelte ich an dem Gurt der Babykarre herum und stellte mich dabei etwa so ungeschickt an wie ein Teenager bei seinem ersten Versuch, den Büstenhalter einer Frau zu öffnen. Endlich ging der Haken auf. Beherzt griff ich mir den Kleinen und hob ihn hoch. Ich drückte ihn an meine Brust und überlegte, wie man ihn wohl am besten schaukelte. Er schrie weiter. Ich begann hin und her zu tänzeln, wie ich es bei den Müttern in meinem Laden manchmal beobachtet hatte. Er schrie weiter. Ich pustete ihm zur Abkühlung auf seine Wangen, die mittlerweile die Farbe eines kräftigen Rotweins angenommen hatten. Leider brachte ihn mein kalter Luftzug nicht dazu, mit dem Krakeelen aufzuhören. Als ichgerade darüber nachdachte, die Feuerwehr zu holen, fiel mir ein, dass ich ja mit ihm reden und ihn anlächeln sollte. Ich verzog mein Gesicht zu einer grinsenden Grimasse und begann ihm zu erklären, dass wir es beide bald hinter uns haben würden. Das Schreien wurde leiser. Ich schöpfte Hoffnung. »Keine Sorge, alles wird gut«, redete ich unentwegt auf ihn ein und fragte mich dabei, ob ich damit eigentlich ihn oder mich beruhigen wollte. »Alles wird gut. Ganz prima. Wir haben es bald geschafft.«
Mathis fixierte meinen Blick mit seinen riesigen blauen Kulleraugen, ich starrte zurück, und sein Schreien wurde leiser. Dann, nach einer Weile, war er endlich still. Erleichtert setzte ich ihn zurück in den Wagen. Ich gab ihm das Entchen, das er sich sofort wieder in den Mund rammte. Seine Welt war wieder in Ordnung.
Ich hingegen wischte mir den Schweiß von der Stirn und musste nun selbst ein paar Atemübungen machen, um meinen Puls zu beruhigen. Ich sah auf die Uhr. Noch einundfünfzig Minuten. Mochten Kinder nicht Musik? Was die härtesten Frauen weich werden ließ, gefiel doch bestimmt auch Kindern. Ich legte eine Soul- CD in die Anlage und hoffte, dass dieser sanfte Sound Mathis’ Zustand stabilisieren würde. Schwülstige Black Music war meine Allzweckwaffe: Einerseits entspannte sie mich, andererseits half sie, meine Umsätze hochzupushen. Das rauchige Timbre von Isaac Hayes oder Barry White ließ die Ladys sich in meinem Laden so wohlfühlen wie in ihren eigenen Schlafzimmern.
Bei jemandem wie Nora, die in diesem Moment hereinkam, war solche Art musikalischer Gleitcreme nicht vonnöten. Sie besuchte mich eigentlich nur, weil sie schnellen Sex wollte, und auch diesmal sparte sie sich die Begrüßung.
»Ich würde gern für die nächsten zwanzig Minuten deine Umkleidekabine reservieren«, sagte sie. »Danach muss ich zurück ins Büro.« Nora hatte es immer eilig. Ich deutete auf das Gefährt hinter dem Tresen. Sie beugte sich in ihrem engen Kostüm rüber und blickte mich irritiert an. »Was ist das denn?«
»Wonach sieht es aus?«
»Ist das dein Kind?«
»Nein, ich passe nur für ein Stündchen darauf auf.«
»Und wem gehört der?«
»Dem Tyrannengeschrei nach zu urteilen, das er gerade von sich gegeben hat, könnte er der Sohn von Josef Stalin sein.«
Nora sah mich befremdet an. Sie verstand kein Wort, beschloss aber offensichtlich, das zu ignorieren. Sie guckte auf ihre Uhr. »Also, was ist jetzt? Gibst du heute den Babysitter, oder vögeln wir?«
»Wie stellst du dir das vor? Ich kann den Kleinen doch nicht einfach so im Geschäft
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