Hostage - Entführt
für sich selbst getan hatte. Kevin Rooney trat von einem Fuß auf den anderen, und seine Augen sprangen unstet zwischen Dennis und den Zapfsäulen hin und her. Er hatte ganz offensichtlich sehr viel Angst. Der große Mann hatte ein breites, stumpfes Gesicht und ausdruckslose Augen.
»Wissen wir, wer der Hüne ist?«
»Nein, Sir.«
»Ist die Kamera versteckt?«
»Die hängt fett und unübersehbar an der Decke, aber die drei hatten's wohl nicht nötig, Masken zu tragen.«
Talley sah sich das Video ohne jede Emotion an. In all den Jahren bei der Polizei von Los Angeles hatte er drei- bis vierhundert solcher Bänder gesehen. Alle zeigten Raubüberfälle, die böse geendet hatten – genau wie dieser hier. Und nur einer von zwanzig Tätern hatte sich die Mühe gemacht, eine Maske überzustreifen. Meistens war es ihnen egal, oder sie dachten nicht darüber nach – Genies wurden keine Verbrecher. Nur das allererste Video hatte Talley schockiert. Damals hatte er noch seine Probezeit absolviert; er war 22 und kam frisch von der Polizeischule. Auf dem Band war zu sehen gewesen, wie eine dreizehnjährige Vietnamesin in so einen Laden wie Kims Minimart ging, dem alten schwarzen Kassierer aus nächster Nähe ins Gesicht schoss und ihren Revolver dann auf die einzige Kundin richtete, eine schwangere Latina namens Muriel Gonzales. Die fiel auf die Knie und streckte ihr die Arme entgegen, als flehte sie um ihr Leben. Die Vietnamesin setzte ihr die Waffe an die Stirn und feuerte, ohne zu zögern. Dann ging sie ruhig hinter den Tresen, räumte die Kasse aus und verließ den Laden. An der Tür zögerte sie, ging noch mal zum Tresen zurück und steckte eine Packung Kaugummi ein. Dann trat sie über Muriel Gonzales weg und verschwand. Nachdem er diese Morde gesehen hatte, war Talley so erschüttert, dass er die nächsten zwei Monate daran gedacht hatte zu kündigen.
In Kims Minimart passierte alles genauso schnell: Rooney hob sein T-Shirt an, um einen Revolver sehen zu lassen, und sprang über den Tresen. Kim stand ihm mit seiner Waffe gegenüber. Talley war erleichtert, dass Rooney ihm, was das anging, die Wahrheit gesagt hatte. Das würde Dennis vor Gericht zwar nichts nützen, aber Talley konnte es dazu verwenden, Rooney in seinem Eindruck zu bestärken, einfach Pech gehabt zu haben. Und nur darum ging es Talley im Moment: Sachen zu finden, mit denen er Dennis Rooney manipulieren konnte.
Das Handgemenge zwischen Rooney und Junior Kim dauerte nur Sekunden, dann taumelte Kim rückwärts, ließ seine Pistole fallen und krachte gegen den Kühlschrank. Rooney war deutlich überrascht, dass Kim eine Kugel abbekommen hatte. Er sprang über den Tresen in den Verkaufsraum zurück und rannte zur Tür. Der große Kerl rührte sich nicht. Das fand Talley seltsam: Kim hatte gerade eine Kugel erwischt, und Rooney rannte weg, doch der dritte Mann stand einfach da, schob Junior Kims Pistole, die auf dem Tresen gelandet war, in seinen Hosenbund und lehnte sich dann, auf die linke Hand gestützt, über die Theke.
»Was macht er da?«, fragte Mikkelson.
»Er sieht zu, wie Kim stirbt.«
Das bleiche Meister-Proper-Gesicht des Hünen legte sich in Falten.
»Gute Güte – der lächelt ja!«, sagte Mikkelson.
Talley juckte es am ganzen Oberkörper. Er hielt das Band an und spulte zurück, bis der Unbekannte sich wieder auf seine Hand stützte und vorbeugte.
»Wir müssen feststellen, ob es sich bei dem Jüngsten wirklich um Kevin Rooney handelt, und rausfinden, wer der Dritte ist. Druckt die Gesichter aus und zeigt die Kopien Rooneys Vermieter, Rooneys Nachbarn und den Leuten, mit denen er gearbeitet hat. So bekommen wir vielleicht schnell raus, wer das ist.«
Mikkelson sah Dreyer unsicher an.
»Äh, Chief – wie macht man denn Ausdrucke von so einem Band?«
Talley fluchte still in sich hinein. In Los Angeles würde ein Polizist das Video zur kriminaltechnischen Abteilung nach Glendale bringen und nach einer Stunde mit den nötigen Ausdrucken zurückkommen – egal, wie viele das waren. Talley überlegte, dass die Polizei in Palmdale vermutlich die nötige Ausrüstung hatte, um den Auftrag zu erledigen – aber bei dem Verkehr am Freitagnachmittag würde die Fahrt lange dauern.
»Kennt ihr den Computerladen im Einkaufszentrum?«
»Klar – da gibt's Play Stations!«
»Ruft erst an und sagt, wir haben ein VHS-Video, Fragt, ob sie davon Ausdrucke machen können. Wenn ja, bringt es hin. Wenn nein, telefoniert mit dem Fotogeschäft
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