Hostage - Entführt
Grundstück benötigen – falls bei der Baubehörde keine Pläne des Hauses zu bekommen waren, sollten Nachbarn den Grundriss aus dem Gedächtnis zeichnen. Und man musste die Nachbarn fragen, ob einer der Smiths lebenswichtige Medikamente brauchte.
Als Talley diese ihm so vertrauten Anweisungen gab, spürte er, dass er sich langsam für seine Aufgabe erwärmte. Er hatte diese Arbeit ja früher schon gemacht – und zwar gut. Bis ihm sein Job das Genick gebrochen hatte.
Kaum hatte Talley die vorläufigen Aufgaben verteilt, waren Mikkelson und Dreyer mit dem Video angelangt. Er traf sie vor einem großen, mediterran anmutenden Haus, das einer freundlichen, vollschlanken Frau gehörte, die aus Brasilien stammte. Talley wies sich Mrs. Peña gegenüber als Chef der Polizei von Bristo Camino aus und bedankte sich für ihre Unterstützung. Sie führte die drei Beamten zum Fernseher im Wohnzimmer und zeigte ihnen, wie man den Videorekorder bediente. Mikkelson legte das Band ein.
»Wir haben uns das im Minimart angesehen, um sicher zu sein, dass was Verwendbares drauf ist. Ich hab's noch nicht zurückgespult.«
»Habt ihr irgendwas über Rooney rausgefunden? Vorstrafen? Haftbefehl?«
»Ja, Sir.«
Dreyer schlug seinen Block mit Strafzettelformularen auf. Mitten über einen bereits ausgefüllten Strafzettel waren Notizen gekritzelt, vermutlich während der Fahrt.
»Dennis James Rooney hat einen jüngeren Bruder – Kevin Paul, neunzehn Jahre alt. Sie wohnen zusammen in Agua Dulce. Dennis hat gerade dreißig Tage in der Ant Farm abgesessen – Einbruchdiebstahl. Hätte auch viel dicker für ihn kommen können. Er hat ein langes Vorstrafenregister – Drogenbesitz, Autoklau, Ladendiebstahl, Besitz gestohlener Gegenstände. Sein Bruder Kevin hat wegen Autodiebstahl in Jugendhaft gesessen. Die zwei waren immer wieder bei Pflegeeltern oder im Waisenhaus und haben keinen Schulabschluss.«
»Keine Gewaltverbrechen?«
»Nichts Aktenkundiges.«
»Wenn wir hier fertig sind, möchte ich, dass ihr mit dem Vermieter der beiden sprecht. Solche Vögel sind mit der Miete immer in Verzug oder machen zu viel Krach – also musste er sich die zwei vermutlich schon mal vorknöpfen. Ich will wissen, wie sie da reagiert haben. Findet raus, ob sie ihm – vielleicht sogar mit einer Waffe – gedroht oder ob sie gekuscht haben.«
Aus dem früheren Verhalten von Tätern ließ sich gut auf ihr künftiges schließen. Von Leuten, die früher zu Gewalt geneigt hatten, konnte man erwarten, dass sie das auch in Zukunft tun würden – das war ihre Art, mit Stress umzugehen.
»Fragt den Vermieter, ob sie einen Job haben. Wenn ja, sagt ihren Arbeitgebern, sie sollen mich anrufen.«
»Verstanden.«
Mikkelson trat vom Videorekorder zurück.
»Fertig, Chief.«
»Na dann: Band ab.«
Die Mattscheibe flimmerte, als das Video anlief. Die grellen Farben einer spanischsprachigen Seifenoper wichen dem stummen Schwarzweißblick der Sicherheitskamera von Kims Minimart. Die Aufnahmeperspektive zeigte, dass die Kamera links von der Kasse an der Decke montiert war – man sah Junior Kim und ein Stück von seinem Schreibtisch hinterm Ladentresen. Links im Bild war die Theke, unten rechts die erste Regalzeile. Dazwischen erkannte man einen Teil des Ladens. Rechts unten war ein Bildsegment ausgespart – dort lief eine kleine weiße Digitaluhr mit.
»Also – es geht los«, sagte Mikkelson. »Der, den wir für Dennis Rooney halten, ist kurz vorher in den Laden gekommen und wieder gegangen. Diese Aufnahmen wurden etwa fünf Minuten später gemacht.«
»Gut.«
Ein Weißer mit markanten Gesichtszügen, auf den die Beschreibung von Dennis Rooney passte, öffnete die Ladentür und ging direkt auf Junior Kim zu. Ein größerer Weißer mit breitem Gesicht, breitem Oberkörper und rasierter Glatze kam mit ihm rein.
»Ist das Rooneys Bruder?«
»Gleich kommt noch einer. Der sieht eher nach dem Bruder aus.«
Der dritte Weiße kam rein, während Mikkelson noch redete. Von der Ähnlichkeit her musste er Rooneys Bruder sein, obwohl er kleiner und dünner als Dennis war und ein Lemonheads- T-Shirt trug. Er wartete an der Tür.
Talley studierte die Mienen der drei Männer und achtete auf ihre Körpersprache. Dennis Rooney war ein gut aussehender Bursche. Seine Augen wirkten hart, aber unsicher. Er hatte einen überheblichen, schaukelnden Gang. Talley vermutete, dass er sich in Positur geworfen hatte, konnte aber noch nicht sagen, ob er das für andere oder
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