Hostage - Entführt
gehabt.«
»Mut? Mir ist einfach nichts anderes eingefallen.«
An einem sonnigen Frühjahrsmorgen war ein Mann mit einer Schusswaffe in eine jüdische Kindertagesstätte im Stadtteil Fairfax eingedrungen und hatte eine Erzieherin und drei Kleinkinder als Geiseln genommen. Als Talley an den Tatort kam, stellte er fest, dass der Mann verwirrt war, widersprüchlich handelte und rapide die Kontrolle über sich verlor. Weil Talley fürchtete, der Täter habe eine Psychose und die Kinder seien unmittelbar in Gefahr, bot er sich im Austausch für die Kleinen als Geisel an. Damit verstieß er gegen den ausdrücklichen Befehl seines SEK-Chefs und gegen die Grundsätze der Polizei von Los Angeles. Talley näherte sich unbewaffnet und ungeschützt der Tagesstätte und begab sich in die Gewalt des Geiselnehmers, der im Gegenzug die Kinder freiließ. Als der Täter – er hatte den Arm um Talleys Hals geschlungen und ihm den Pistolenlauf an den Kopf gesetzt – im Eingang des Gebäudes stand, schaltete Neal Craimont, damals Talleys bester Freund, den Geiselnehmer mit einem Kopfschuss aus 50 Metern aus. Das Hochgeschwindigkeitsgeschoss pfiff nur zehn Zentimeter an Talleys Schädel vorbei. Die Zeitungen hatten ihn danach zum Helden erklärt, aber er hatte den Einsatz als Misserfolg betrachtet: Wer Verhandlungen mit Geiselnehmern führt, ist immer gescheitert, wenn jemand stirbt – nur wenn alle überleben, ist das ein Erfolg.
Maddox schien Talleys Unbehagen zu spüren. Er ließ das Thema fallen.
Als sie hinten an der Einsatzzentrale ankamen, löste sich eine Frau im grünen Kampfanzug von einer Traube Polizisten und ging auf sie zu. Sie hatte ein markantes Kinn, dunkle, intelligente Augen und kurze, blonde Haare.
»Ist das Chief Talley?«
Maddox nickte. »Das ist er.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Aus der Nähe sah Talley ihr Rangabzeichen am Kragen. Sie hatte einen festen Händedruck.
»Laura Martin. Captain. Ich bin die Einsatzleiterin.«
Während Maddox und Ellison sich locker und lässig gaben, war Martin so geladen wie ein Hochspannungskabel, kurz angebunden und völlig humorlos.
»Schön, dass Sie unsere Unterhändler kennen gelernt haben. Sergeant Maddox wird die Sache übernehmen.«
»Darüber haben wir gerade gesprochen, Captain. Die Lage sieht verheißungsvoll aus. Die Geiselnehmer scheinen relativ ruhig zu sein.«
Martin schaltete das Funkgerät ein, das an ihre Montur geschnallt war, und befahl die Teamleiter in fünf Minuten zum Rapport. Dann sah sie Talley an.
»Haben Sie das Haus umstellt?«
»Ja, Ma'am.«
»Mit wie vielen Leuten?«
»Mit elf – teils mit meinen Männern, teils mit Autobahnpolizisten. Ich hab sie ranrücken und dann wieder etwas auf Distanz gehen lassen, um die Verhandlungen mit Rooney in Gang zu bringen. Damit müssen Sie also vorsichtig sein.«
Martin schien nicht auf seine Worte zu achten. Während Talley redete, schaute sie die Straße entlang; er nahm an, sie schätzte die Lage ein – und bestimmt auch seine Leute. Er war irritiert. Die Einsatzzentrale hätte weiter vorn positioniert werden müssen, am Zugang zu den unter der Straße verlegten Strom- und Telefonkabeln. Von dort könnten sie auch die Leitungen zu den Smiths anzapfen. Und Strom für ihre Zentrale bekommen. Talley hatte sich schon darum gekümmert, dass Handwerker der Telefongesellschaft und der Stadtwerke vor Ort waren.
»Wenn meine Teamleiter da sind, können Sie ihnen die Lage gleich schildern. Sobald wir die Situation stabilisiert haben, will ich mein Angriffsteam um das Grundstück herum in Stellung bringen.«
Jetzt war Talley zum zweiten Mal verärgert: Die Lage war doch offensichtlich stabil. Er schlug Captain Martin vor, sich mit ihren Gruppenleitern im Haus von Mrs. Peña zu treffen, aber sie meinte, das koste zu viel Zeit. Während sie ihre Leute unter einer Straßenlaterne zusammenrief, bat Talley Metzger per Funk, sie solle ihm Kopien der Grundriss-Skizzen bringen. Als alle versammelt waren, verteilte er die Pläne, fasste seine Gespräche mit Rooney kurz zusammen und schilderte, was er vom Haus und denen, die drin waren, wusste.
Martin stand mit fest verschränkten Armen neben ihm und sah ihn von der Seite an, und zwar argwöhnisch, wie Talley zunehmend empfand.
»Haben Sie die Strom- und Telefonleitungen unterbrochen?«
»Nur die Telefonleitungen. Ich wollte den Strom nicht abstellen, solange wir nicht wissen, womit wir's zu tun haben.«
Martin befahl Sergeant Rojas, dem Leiter
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