hot directions (German Edition)
wurde - sieht für mich eher nach einem Täter mit künstlerischem Motiv aus, einem Kreativen. Nach einem, der mit dieser Tat etwas ausdrücken möchte, eine Botschaft vermitteln möchte. Psychologisch gesehen, fühlt sich das Festnageln der Hand eher so an, als wolle man ihn zwingen, die Hand an dieser Stelle zu belassen. Im Leben wie im Tod. Es könnte natürlich sein, dass die Hand zu einem falschen Schwur gehoben wurde, aber das ergäbe keinen Grund für das Abtrennen der Finger. Für mich sieht das eher wie ein »Lass die Hände weg von mir«, aus. Das Abtrennen der Finger ergibt dann - und nur dann - einen plausiblen Sinn: Du hast mich angefasst, Du hast mir wehgetan, ich nehme Dir das, mit dem Du mich beschmutzt hast, Deine Finger. Die Finger wurden ja nicht mitgenommen, sondern nur zu Boden geworfen, also beschmutzt. Dann wurde sein Schädel eingeschlagen. Laut Obduktionsbericht ein Hieb mit einem stumpfen Gegenstand, der bis heute nicht gefunden wurde. Nach Aussage der Pathologie fanden sich in Beckerts Schädel Holzsplitter und Rindenteile. Der Mörder hätte also durchaus einen Ast nehmen und Beckert erschlagen können, so wie dieser einst jemand anderen? Nein, ich glaube wirklich nicht an die Okkultismus-Theorie.
Fragt sich nur, wer auch einen Grund gehabt hätte, Meyer, Butter und Wild aus dem Weg zu schaffen. Dieser Rolf Berg kommt dazu leider nicht in Frage, denn dieser ist vor knapp drei Wochen an Krebs verstorben. Geht man jedoch von der Rache-Theorie in der Sache Beckert aus, dann ergeben auch diese Morde einen grausamen Sinn. Meyer wurde erstochen, das Messer wurde mitgenommen. Einen Tag später wiederholte sich das ganze bei Butter. Am nächsten Tag folgte Wild nach. Der Mörder muss gewusst haben, dass er das Messer nicht mehr brauchen würde, denn er nagelte Wild damit an einen Baum, diesmal an eine Eiche. Trauriger Nebeneffekt dabei: Die Eiche, an der Wild starb, ist die älteste Eiche der Umgebung. In den Mainauen, wo jetzt die S-Bahn-Station Mühlberg ist, war bis zirka 1744 der Richtplatz von »Dribbdebach«, des Stadtteils Sachsenhausen auf der anderen Mainseite. Die Eiche, an der Wild starb, war die so genannte »Galgeneiche«. Meyer wurde an der Treppe zur S-Bahn keine fünfzig Meter von der Gedenktafel entfernt ermordet, auf der das Köpfen durch das Schwert, eine beliebte Strafe für Räuber, anschaulich beschrieben wurde. Nur Butter starb direkt am Aufzugschacht, vermutlich deshalb, weil er eine wesentlich bessere Kondition als Meyer hatte. Nur - wer hatte einen Grund, alle vier umzubringen? Ich bin mir sicher, dass es sich um ein- und denselben Mörder handelt. Das bedeutet, dass Steven immer noch in Gefahr ist. Nein, ich MUSS den Täter finden und vor Gericht bringen, damit mein Mann in Ruhe leben kann.
Mir fällt zwar spontan nur ein Mensch ein, der einen Grund gehabt hätte, alle vier umzubringen, aber diesem fehlt ein eindeutiges Motiv für die Hintergründe der Tat, so wie ich sie sehe. Außerdem hat er für Beckerts Tod ein bombensicheres Alibi: Er lag nämlich neben Timo und mir schlafend im Bett und umklammerte meinen Hüftknochen. Aber der Täter muss jemand aus Stevens direktem Umfeld sein, oder ihn zumindest gut kennen, vermute ich.
A propos Hüftknochen, in genau diesem Moment öffne ich die Augen. Links von mir schlafen Timo und Steven, eng umklammert und aneinandergekuschelt, als müssten sie sich gegenseitig vor dem Ertrinken retten. Timo hatte Nachtdienst, ich vermute, er ist nicht vor fünf, halb sechs nach Hause gekommen. Ich habe mich gegen vier hingelegt, Steven saß noch vor seinem Laptop und fügte den Abspann zu »Böse Buben« hinzu. Inzwischen ist es Mittag, ich liege seit einer Weile wach und grübele. Zuerst wollte ich meinem Instinkt folgen und die Augen öffnen, dann jedoch habe ich mich doch fürs Liegenbleiben und Grübeln entschieden. Schade eigentlich, der Anblick der beiden ist sehenswert. Sie sind einfach nur süß, stelle ich fest.
Da sie nackt sind, nehme ich an, dass sie vor dem Schlafengehen noch Sex hatten, leise genug, um mich nicht aufzuwecken. Es ist ihnen gelungen. Nun liegt Stevens Gesicht mit einem seligen Lächeln direkt an Timos Wange. Jeder seiner Atemzüge pustet Timos vorwitzige lange schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor sie durch die Schwerkraft wieder zurückfällt. Timos Linke fasst unter Stevens Achsel durch und umklammert die Schulter von unten, damit dieser auf gar keinen Fall gehen kann. Die Rechte ruht auf
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