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Hot Summer

Hot Summer

Titel: Hot Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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gestorben, verstehst du? Hast du das gewusst, Annie? Ich liebte sie so sehr, es hat mich von innen förmlich verbrannt.“
    Das hatte ich nicht gewusst, aber woher auch? Und warum? „Nein. Das habe ich nicht gewusst.“
    Er seufzte und schwieg. Ich dachte, er wäre weggedämmert, und holte ihm eine Decke aus dem Schrank, auch wenn er nicht gesagt hatte, dass er sie brauchte.
    „Sie ist davongelaufen und hat mich verlassen. Ich wollte sterben.“
    Die Wolldecke fühlte sich unter meinen Händen kratzig an, als ich sie um seine Füße legte. Er griff schneller nach mir, als ich es ihm je zugetraut hätte. Trotz der Dunkelheit fand er mein Handgelenk mit erstaunlicher Leichtigkeit. Er zog mich näher, bis ich auf der Bettkante neben ihm saß.
    „Du erinnerst dich an den Sommer, ja?“
    „Ich erinnere mich, Dad. Das habe ich dir schon gesagt.“
    „Du warst immer ein gutes Mädchen. Hast auf deine Schwestern aufgepasst. Die kleine Mary, süße Mary. Und Patricia. Du warst so ein gutes Mädchen. Sie ist weggegangen und hat uns alle verlassen, erinnerst du dich?“
    Ich seufzte und tätschelte seine Hand. „Ja, Dad.“
    „Aber sie hat Claire mitgenommen. Mein Baby Claire.“ Er lachte, und das Bett bebte leicht. „Die nun selbst ein Kind bekommt. Lieber Himmel.“
    „Brauchst du noch etwas? Ich werde sonst gehen.“
    „Du wirst Claire sagen, wie leid es mir tut, ja? Ich habe es nicht so gemeint, was ich vorhin gesagt habe.“
    Die Gespräche, die sich im Kreis drehten, waren für mich nichts Neues. Statt verärgert zu sein, fühlte ich nur Traurigkeit in mir aufsteigen. Dieser Mann war mein Vater, was auch immer geschah.
    „Natürlich. Ich werde es ihr sagen.“
    „Ich denke nicht, dass sie ’ne Hure ist.“
    „Ich weiß, dass du das nicht denkst.“
    „Du bist ein gutes Mädchen, Anne.“
    „Ich weiß, Dad. Ich bin schon immer ein gutes Mädchen gewesen.“ Die Worte klangen bitter, aber er merkte es schon gar nicht mehr. „Ich werde jetzt gehen.“
    „In jenem Sommer habe ich dich im Boot mit auf den See genommen.“
    Mein Magen schlug einen langsamen, Übelkeit erregenden Purzelbaum. „Ja.“
    „Das war ein schöner Tag, nicht wahr? Nur du und ich, draußen auf dem Boot. Wir fuhren das Boot. Weit draußen auf dem Wasser. Auf den Wellen. Das war ein guter Tag.“
    Ich hatte es nicht so empfunden. Damals nicht. Heute ebenso wenig.
    „Vielleicht war das der letzte gute Tag.“
    Meine Mutter verließ uns mit der kleinen Claire zwei Tage nach dem Bootsausflug. Es war ein schrecklicher Sommer, aber für mich fing er nicht an dem Tag an, als sie uns verließ. Er begann an dem Tag, als wir beinahe ertranken.
    „Es gab andere gute Tage“, erwiderte ich.
    „Ich sollte es einfach tun“, sagte er. „Ich sollte meinem Leben ein Ende machen.“
    Ich antwortete nicht. Er redete nicht wirklich mit mir. Oder vielleicht redete er mit mir, aber jetzt war es wieder die zehnjährige Annie Byrne, der er etwas erzählte. Nicht Anne Kinney.
    „Ich sollte mir einfach den Pistolenlauf in den Mund stecken und den Abzug drücken. Dann wäre ich … einfach … mit alledem durch.“ Seine Worte kamen schleppender. „Es wäre besser für uns alle, wenn ich weg wäre. Wenn ich es einfach tun würde.“
    Ich hatte diese Worte schon mehr als einmal zuvor gehört. Manchmal, wie an diesem Tag, in der Dunkelheit. Manchmal durch die geschlossene Tür, während meine Mutter ihn anflehte, es nicht zu tun.
    „Ich sollte es einfach machen“, sagte er erneut, und ich antwortete, wie ich ihm immer geantwortet hatte.
    „Nein, Daddy. Nein, das solltest du nicht tun.“
    „Warum nicht?“, fragte er. Seine Stimme war tief und schleppend. Weit von mir entfernt.
    Tränen brannten in meinen Augen und ich musste schmerzhaft schlucken. „Weil wir dich lieben.“
    Ich war mir sicher, dass er inzwischen das Bewusstsein verloren hatte. Sein schnaufender Atem war in einen ruhigeren Rhythmus übergegangen, seine Hand wurde schlaff und ließ meine los. Ich ließ ihn ebenfalls los und stand auf, um ihn allein zu lassen. Seine Stimme hielt mich an der Tür ein letztes Mal auf.
    „Annie, hast du je gelernt, zu segeln?“
    „Nein, Daddy, das habe ich nicht gelernt.“
    „Das solltest du“, murmelte er. „Dann hättest du beim nächsten Mal nicht so viel Angst.“
    Dann war alles, was ich hörte, sein Schnarchen, und ich ließ ihn allein, damit er seinen Rausch ausschlief.

16. KAPITEL
    Für den Hochzeitstag meiner Eltern war Regen

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