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Hot Summer

Hot Summer

Titel: Hot Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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das Patricia und mich auf dem Schoß unseres Vaters zeigte. Wir grinsten auf dem Foto. Ich hatte das Haar und die Augen von meiner Mutter geerbt, aber mein Lächeln hatte ich – ebenso wie meine Schwester – von unserem Vater.
    „Ich sehe mir diese Bilder an und es ist nur … ich kann mich nicht daran erinnern.“ Ich tippte auf das Foto. „Kannst du dich erinnern?“
    Sie nahm das Foto. „Wir waren so jung. Du siehst aus, als wärst du gerade vier, und dann wäre ich erst zwei gewesen. Wer erinnert sich schon an irgendetwas, das er als Zweijähriger erlebt hat?“
    Das war es nicht, was ich meinte. Aber ich war mir nicht sicher, dass ich die richtigen Worte fand, um mich ihr zu erklären. Zumindest nicht, ohne ein verbotenes Terrain zu betreten. Ich schaute erneut auf das Foto.
    „Wir sehen glücklich aus“, sagte ich.
    Meine Schwester antwortete nicht. Sie nahm mir das Bild aus der Hand und legte es zurück auf den Stapel. Dann öffnete sie eine Fächermappe und nahm eine Packung Aufkleber heraus, die wie Ballons geformt waren. Sie ignorierte mich.
    „Ich meine nur … Ich sehe mir diese Fotos an und ich weiß, dass alles, was ich da sehe, so passiert ist, weil ich auf den Fotos bin, aber …“ Mein innerer Kampf, meine Gedanken zu formulieren, ließ meinen Hals schmerzen. „Aber ich kann mich nicht an eine einzige dieser Situationen erinnern.“
    Ich erinnerte mich nicht daran, auf den Knien meines Vaters zu sitzen, während er mir die Bücher von Dr. Seuss vorlas. Oder daran, wie er die Schienen der Eisenbahn zusammensteckte, die jedes Jahr zu Weihnachten ihre Runden um den Weihnachtsbaum drehte. Ich erinnerte mich nicht an die Familienporträts, die wir regelmäßig machen ließen und bei denen wir in selbst gestrickten Pullovern steckten, auf denen unsere Namen standen. Ich erinnerte mich nicht daran, wie unsere Familie war, als sie glücklich war.
    „Ich müsste auf diesem Foto ungefähr in Callies Alter gewesen sein“, sagte ich und zeigte noch mal auf das Bild. „Und ich kann mich einfach nicht daran erinnern. Ich erinnere mich an den Pullover, verstehst du? Er kratzte und die Ärmel waren zu lang. Ich erinnere mich daran, das Foto anzusehen. Aber ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, auf dem Foto zu sein.“
    Meine Schwester sah mich an. Ihre Augen, die wir von unserer Mutter geerbt hatten, hatten sich verdüstert. „Hör auf, darüber nachzudenken, Anne. Hör einfach damit auf, okay? Wir haben die Fotos. Wir waren da. Du warst da. Erinnerungen sind etwas Zerbrechliches – es gibt schon Gründe, warum die Menschen sich nicht an alles erinnern. Wir haben in unseren Gehirnen keinen Platz für diesen Müll.“
    „Ich sag es ja nur. Es wäre gar nicht so schlecht, einige dieser Dinge behalten zu haben. Ich kann mich dran erinnern, wie Chris Howard im Schulbus in der zweiten Klasse auf mich gekotzt hat. Das ist eine Erinnerung, ohne die ich sehr gut auskommen würde.“
    Wir lachten, aber es klang angespannt. Ich half Patricia, ihre Bastelsachen zu ordnen, bis mir klar wurde, dass ich sie mehr behinderte als ihr half. Sie brauchte mich nicht länger.
    Ich umarmte meine Nichte und meinen Neffen besonders heftig, bevor ich ging. Würden sie sich später daran erinnern, wie ich sie zu einem Eis einlud oder mit ihnen Candyland spielte? Oder würden diese Erinnerungen im Laufe der Zeit auch verblassen und durch neue Erinnerungen ersetzt werden?
    Es war nicht so, dass mein Gedächtnis ein gähnendes schwarzes Loch war. Ich erinnerte mich an die Schule und an Besuche im Haus meiner Großeltern in Pittsburgh. Ich erinnerte mich an den Anblick der drei Flüsse, die sich vereinigten, an den Ausblick, den man von der Duquesne-Incline-Bahn hatte. Und das nicht nur, weil ich Fotos kannte, die an diesen Ausflug erinnerten. Ich erinnerte mich an meine liebsten Spielzeuge, Bücher und Fernsehsendungen. Ich erinnerte mich an Fetzen und Ausschnitte meines Lebens, bevor ich zehn wurde … aber so vieles davon war schlüpfrig und entglitt mir wieder. Vielleicht hatte Patricia recht und es war einfach nicht genug Platz in meinem Gehirn.
    Alles änderte sich in dem Sommer, als ich zehn war. Patricia war acht, Mary vier und Claire zwei. Nachts weckten uns Telefonanrufe. Das Brüllen, das normalerweise hinter verschlossenen Türen stattfand, überfiel uns plötzlich beim Abendessen. Meine Mutter brach grundlos in Tränen aus und machte mir Angst. Alles veränderte sich, und mit zehn war ich alt genug, um zu

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