Hotel der Lust
Liebe macht blind, den Spruch kennen Sie doch.«
Das hatte gesessen. War sie womöglich wirklich nicht objektiv? Hatte sie manches vielleicht sogar ganz bewusst nicht sehen wollen? Für einen kurzen Augenblick war sie verunsichert, dann aber erinnerte sie sich an seine zärtlichen Hände. War dieser Mann tatsächlich ein Räuber?
Ellen holte eine Zeichnung aus ihrer Umhängetasche und schob sie Ivy über den Tresen. »Kommt Ihnen dieser Kerl bekannt vor?«
Ivy erkannte Alexander auf dem Phantombild, dennoch zuckte sie mit den Schultern und reichte Ellen die Zeichnung zurück. »Kaum. Sie jagen den Falschen«, erklärte sie entschieden, doch sie war jetzt weniger überzeugt, als sie vorgab. Sie erinnerte sich, wie gut sich Alexander im Museum ausgekannt hatte, besonders in Bereichen, die dem normalen Besucher gar nicht zugänglich waren. »Warum gehen Sie dann nicht zum Staatsanwalt, wenn das alles so eindeutig ist?«
»Das ist es ja eben nicht. Er ist ein Meister seines Fachs, dem man nichts nachweisen kann. Bisher.« Sie trank ihr zweites Glas aus und wischte sich mit einer Serviette über den Mund. Ihre Lippen schienen in diesem Augenblick noch etwas voller zu werden. Verführerisch spitzte sie diese, als wollte sie Ivy mit einem Kuss locken.
»Wie dem auch sei. Ich kann Ihnen nur raten, sich von ihm fernzuhalten.«
Ivy erkannte darin einen ehrlich gemeinten Ratschlag, doch selbst, wenn sie es wollte, sie wäre nicht in der Lage, ihn zu befolgen. Wahrscheinlich würde sie Alexander sogar eher helfen, falls er tatsächlich dieser Kunsträuber war, anstatt sich von ihm fernzuhalten oder ihn gar der Polizei auszuliefern. In ihr waren diese Sehnsucht, dieses Verlangen nach ihm, seinen starken Händen, seiner Männlichkeit. Vor allem der Wunsch, dass ihm nichts zustieÃ.
Und doch fiel ihr gerade jetzt auf, wie wenig sie eigentlich über ihn wusste. Wer war Alexander Hamilton wirklich?
»Ich meine es nur gut mit Ihnen.«
»Und wenn ich ihm von Ihnen erzähle?«
Ellen grinste breit. »Glauben Sie wirklich, Alexander Hamilton wüsste nicht längst, dass wir ihm auf den Fersen sind? Wenn wir Pech haben, ist er morgen nicht mehr in Nizza.«
»Und wo sollte er dann sein?«
»Keine Ahnung. Wohin der Wind ihn trägt. Wäre nicht das erste Mal.«
Sie erhob sich und schlenderte durch die Bar, dabei wippte ihr Po so anzüglich hin und her, dass sie erneut alle Blicke auf sich zog.
An der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal zu Ivy um und spitzte die Lippen. Ein Luftküsschen flog ihr zu. »Passen Sie auf sich auf«, hörte sie Ellen noch sagen. Und dann war sie auch schon verschwunden.
Ivy seufzte schwer. Das alles konnte nicht wahr sein. Krampfhaft versuchte sie, sich zu erinnern, was an dem besagten Abend wirklich passiert war. Sie hatten geilen Sex gehabt, im Dachgeschoss des Museums, wo er sich offenbar ausgekannt hatte, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht war sie ja nicht die Erste gewesen, die er da oben verführt hatte. Nach ihrem Intermezzo und einem wunderbaren Abendessen im Restaurant hatte er sich von ihr verabschiedet. Theoretisch hätte er wohl die Zeit gehabt, um nochmals in das Museum einzudringen, dann aber wäre es unsinnig gewesen, dem Betreiber von der offen stehenden Tür zu berichten. Oder war das sogar Teil seines Plans gewesen, damit weder sie noch der Betreiber Verdacht schöpften? Das erschien ihr nicht sonderlich logisch, aber dann fiel ihr noch etwas ein, was sie nervös werden lieÃ. Die meiste Zeit über hatte er ihr die Augen auf dem Dachboden verbunden gehabt. Sie hatte nicht wirklich gesehen, was er gemacht hatte. Womöglich, und so weit wollte sie lieber gar nicht erst denken, hatte er sich an den Kunstschätzen bedient, ohne dass sie es gemerkt hatte. Ivy schluckte. Dann wäre sie doch, wenn auch indirekt, in den Fall verwickelt. Sie schaute auf ihre Uhr und bekam eine Gänsehaut, weil es fast 18 Uhr war. Alexander erwartete sie.
Zaghaft klopfte sie an seine Tür. Sie hatte nicht mehr die Zeit gefunden, sich umzuziehen. Nach alldem, was Ellen ihr erzählt hatte, war sie nervös und unsicher. Ihr zitterten sogar die Knie. »Es ist offen«, vernahm sie seine männlich markante Stimme.
Sie bewegte den Knauf und trat ein. Ihre Kehle war trocken, das Schlucken fiel ihr schwer. Bisher war sie nie in sein Reich gekommen. Sie
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