Hotel Desire
Doch hier fühlte sie sich unsicher, wie ein kleines Mädchen, das in eine fremde Welt geworfen wurde, deren Sprache sie nicht verstand.
Dann entdeckte sie die dunklen Haare ihrer Nachbarin und atmete erleichtert auf.
„Susan, hier ist noch frei!“, rief die dralle Frau auch gleich entzückt und winkte ihr von der Mitte der langen Tafel zu. Fünf weitere Frauen saßen an dem Tisch, neben einigen Männern, die allesamt attraktiv und zumeist jung waren. Sie entdeckte auch Francois, ihren Fahrer, der am Mittag Jenny beglückt hatte, und den etwas älteren Michel aus dem finsteren Studio im Keller, das sie noch immer frösteln ließ.
Sie grüßte die Anwesenden höflich mit dem Kopf nickend, dann ließ sie sich neben der einzig bekannten Person auf einen Stuhl fallen .
Jenny lächelte freundlich. „Und, hast du dich schon umgesehen heute?“, fragte sie neugierig, bevor sie den Kopf zur Seite wandte und sich von einem sehr jungen , dunkelhaarigen Mann, den Susan noch nicht kannte, eine pralle Kirsche zwischen die Lippen schieben ließ.
„Ich fürchte, ich habe mehr gesehen, als mir lieb ist“, entfuhr es Susan und sie wurde unwillkürlich wieder rot. Jenny kicherte.
„Und das war erst der Anfang“, sagte sie bedeutungsschwanger, nachdem sie die Kirsche zerlutscht und heruntergeschluckt hatte. „Warte nur ab, du könntest hier Dinge zu sehen bekommen, von denen du nicht mal zu träumen wagst! So erging es mir jedenfalls bei meinem ersten Besuch. Du meine Güte, wenn ich daran zurückdenke ...“
Sie legte eine Hand auf den Oberschenkel des Jungen, der neben ihr saß, und warf ihm einen verführerischen Blick unter ihrem dunklen Pony hindurch zu.
Eine verheiratete Frau, und sie benahm sich hier wie ein Macho im Bordell! Michel saß schräg gegenüber und plauderte anger egt mit einer älteren Dame auf F ranzösisch. Francois widmete sich einer Rothaarigen, die seine Mutter hätte sein können und neben einer steifen Oberlippe auch eine völlig reglose Stirn vorweisen konnte, was sie eindeutig als Botoxnutzerin auszeichnete.
Susan seufzte leise. Morgen würde sie sich auf eigene Faust auf die Suche nach Handyempfang machen. Irgendwo in der Umgebung dieses blödsinnigen Weingutes würde es doch wohl möglich sein, zu telefonieren? Sie fühlte wie amputiert ohne Handy und Internet, als habe man ihr einen Körperteil entfernt . Einen sehr wichtigen obendrein. Waren das Entzugserscheinungen, die ihre Finger zittern ließen? Kalt war es ja nicht im Restaurant.
Die anderen Frauen waren gut gekleidet, und sie war froh, dass auch sie zu einem schicken Kostüm gegriffen hatte. Sie hatte beinahe befürchtet, dass sich ihr sogar beim Essen ein frivoles Bild bieten würde und die meisten Gäste in Dessous oder Negligés am Tisch sitzen würden, doch das war ihr zum Glück erspart geblieben.
So entstand nur das Gefühl, Teil einer opulenten Tafel zu sein, in einer eleganten Abendgesellschaft, und nichts hätte einen Außenstehenden darauf hinweisen können, worum es sich hier wirklich handelte.
Zwei junge Männer in schwarzen Uniformen trugen Essen auf. Dampfende Schüsseln mit Köstlichkeiten erinnerten sie daran, dass sie vor Ärger und Aufregung den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Ihr Magen knurrte deutlich hörbar, was Jenny dazu veranlasste, ihr ungefragt aufzufüllen.
„Iss mal ordentlich, du kannst es gebrauchen“, sagte sie grinsend und musterte Susan von oben bis unten.
Normalerweise achtete sie sehr darauf, was sie aß und vor allem bemühte sie sich, nicht zu viel zu essen. Sie war stolz auf ihre schlanke Figur und wollte ihr Gewicht unbedingt halten. Doch jetzt fühlte sie sich ausgehungert und griff beherzt zu.
In Rotwein gekochte Hähnchenschenkel, winzige gegrillte Kartoffeln, die nach Thymian dufteten, und eine köstliche, aber sicher viel zu fettige Sauce lachten sie an.
Susan aß, als würde sie ab morgen auf eine schmale Diät gesetzt werden und müsse sich noch einmal den Bauch vollschlagen. Auch beim Dessert griff sie ungeniert zu und schaufelte ohne Hemmungen in Calvados flambierte Birnen mit Schokoladensauce und Schlagsahne in sich hinein .
„Oh mein Gott, war das gut“, stöhnte sie, als sie fertig war , und tupfte ihre Mundwinkel vornehm mit einer Serviette ab.
„So gut wie das Essen in Frankreich sind sonst nur die Männer hier“, bestätigte Jenny und zwinkerte ihr schelmisch zu. „Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“
„Guten Abend, Susan! Es ist schön zu seh en,
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