Hotel in Flammen
vernehmlich.
„Ich dachte, ich hätte sie hier
vergessen.“
„Fehlt wieder was?“
„Meine Handtasche. Vielleicht liegt sie
im Büro. Oder sonstwo. Es ist ein Kreuz mit meiner Achtlosigkeit.“
„Jörg wird sie finden“, lachte er.
Isabel fuhr los.
Der Regen hatte aufgehört. Mondlicht
lag auf Bad Neuzell. Irgendwo in großer Höhe brummte ein Flugzeug.
Sie fuhren in eine Richtung, die Tim
noch nicht kannte.
Die Gegend, wo Valentin Köschen mit
Carmen Tottrich — den Namen hatte Tim sich gemerkt — wohnte, war sozusagen der
Hinterhof des Kurortes: miefig, mit ärmlichen Häusern und ungepflegten Straßen.
„Nach dem Zweiten Weltkrieg standen
hier Baracken“, erklärte Isa. „Zwielichtige Leute aus aller Herren Länder
hatten sich breitgemacht. Später wurden dann die Häuser gebaut. Von dem
Gesindel ist viel geblieben.“
„Und hier wohnt Valentin Köschen?“
„Dort.“
Sie war offenbar schon mal hier gewesen
oder hatte sich Infos besorgt, hielt jedenfalls zielstrebig vor einem Häuschen,
das wie selbst erbaut aussah — vorausgesetzt, der Selbsterbauer hat von
Architektur und Maurerei keine Ahnung.
Die Fenster waren dunkel.
„Daß die schon schlafen, kann ich mir
nicht vorstellen“, meinte Isa.
Sie schaltete den Motor ab, stieg aber
nicht aus. Statt dessen trommelte sie nervös aufs Lenkrad.
„Ich peile mal die Lage“, sagte Tim. „Vielleicht
hören sie Radio — im Dunkeln“.
Er schlurfte zur Tür.
Nach der Klingel suchte er vergebens.
Immerhin gab’s zwei Namensschilder:
VALENTIN KÖSCHEN und CARMEN TOTTRICH.
Er klopfte, pochte, hämmerte zum Schluß
mit der Faust — wobei er sich zurückhalten mußte, sonst wäre die Tür eingestürzt.
„Da scheint niemand zu Hause zu sein“,
meinte er, indem er zum Wagen trat. „Willst du’s auf morgen verschieben? Oder
warten wir?“
Isabel beugte sich vor und sah an ihm
vorbei. Ihr Blick lief die Straße hinunter. Von dort kam ein Mann.
„Das ist er“, sagte Isa.
Valentin Köschen war hochgewachsen. Er
trug Hut und Mantel, unter den er in diesem Moment einen Gegenstand schob.
Worum es sich handelte, konnte Tim
nicht erkennen. Die Entfernung war zu groß.
Aber die Bewegung war rasch, fast
hektisch — beruhte also nicht auf Zufälligkeit.
Vielleicht hat er Schnaps eingekauft,
dachte Tim. Und Isa kriegt die Rechnung.
Zögernd näherte sich Valentin.
Selbstverständlich hatte er den Wagen seiner Verflossenen erkannt.
Isabel stieg aus.
Köschen, jetzt auf Weitsprung-Entfernung
heran, blieb stehen.
„Willst du zu mir?“ knurrte er.
„Allerdings, ‘n Abend, Valentin. Das
ist Tim, ein Freund der Glockners — also auch von mir.“
Köschen bleckte Tim weißzähnig an,
verstärkte sein Lächeln, während er sich Isa wieder zuwandte, und drückte den
linken Arm fest an die Seite.
Dort, unterm Mantel, dachte Tim,
versteckt er den Gegenstand. Sieht aber nicht aus wie ‘ne Flasche. Die ist
runder, nicht so flach. Oder hat er einen Flachmann? Nee, die sind — glaube ich
— kleiner.
„Und was, liebe Isa, verschafft mir die
Ehre?“ säuselte Valentin.
„Ich muß mit dir reden.“
„Wie schön.“ Er rührte sich nicht.
„Es wäre besser, du bittest uns rein.
Sonst hören die Nachbarn mit.“
Er äugte die Hütte an. „Carmen ist
schon im Bett. Na, gut! Dann kommt mal rein in meine vier Wände.“
Er stakte voran, schloß auf, verschwand
in einer finsteren Diele, die nicht viel größer war als ein Hühnerkäfig.
Isabel und Tim verharrten auf der
Schwelle, warteten darauf, daß Licht werde.
Aber so eilig hatte es Valentin nicht.
Eine Tür quietschte. Sekunden später
quietschte sie abermals, als sie geschlossen wurde.
Jetzt, dachte Tim, hat er erstmal den
Flachmann — oder was auch immer — beiseite gebracht.
„Ich bin’s, Carmen“, rief Valentin mit
einer Lautstärke, als müsse er sich in einem 80-Zimmer-Schloß von einem Ende
zum andern vernehmlich machen.
Die Hütte hielt die Schallwellen gerade
noch aus.
Valentin knipste Licht an, stieß eine
Tür auf, ging in den Wohnraum, zog unterwegs seinen Mantel aus und warf ihn auf
die Couch, nachdem er die 100 Watt einer Stehlampe zur Geltung gebracht hatte.
Der Raum war nicht ungemütlich.
„Setzt euch!“ bot Valentin an und
plumpste in einen Sessel. Seinen Hut ließ er wie eine Frisbee-Scheibe zur Couch
segeln.
Isabel setzte sich auf die vordere
Kante eines Stuhls. Ihre Haltung drückte aus, daß sie nicht lange bleiben
werde.
Tim lehnte sich an
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