Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
Sichtweite des Ufers zu segeln und sich per Fernglas die jeweiligen Landmarken einzuprägen – »vor dem grünen Tanga liegt in acht Uhr eine Sandbank«, oder »halb zwei vom lila Strohhut scheint es eine Strandbar zu geben, gehen wir da mal vor Anker?« –, zogen sich die zwei Strohwitwen erst einmal an ihren Privatstrand zurück. »Jetzt ist vorne noch nichts los«, hatte Fiffi erläutert. Die interessanten Typen lassen sich frühestens ab elf Uhr blicken, und bei den anderen lohnt sich das Hingucken gar nicht.«
    »Wen meinen Sie mit interessant?« hatte Tinchen wissen wollen, »die vom FKK-Strand?«
    »Du liebe Zeit, nein! Das sind doch bloß so ein paar Spätpubertierende, die hier das nachholen, was sie sich daheim in Passau oder Wipperfürth nie getraut haben; es hätte sie ja jemand sehen können!« Sie lachte verhalten. »Die meisten sind bestimmt ganz brave Bürger, die sich zu Hause im Bad einschließen, damit die Kinder nicht hereinplatzen, und bevor sie zwecks Freizeitgestaltung ins Doppelbett steigen, wird die Nachttischlampe ausgeknipst.«
    Ein bißchen wehmütig schaute Frau Maier an sich herunter. »Vor dreißig Jahren bin ich ja auch zum Entsetzen meiner Eltern so manches Mal als nacktes Elflein durch die Dünen von Kampen gehüpft, ich glaube, Sylt war damals die einzige Insel, auf der man das durfte, aber seit Konfektionsgröße 44 habe ich mir derartige Ambitionen abgeschminkt.« Und als Tinchen protestieren wollte, winkte Frau Maier ab. »Ich weiß, daß ich noch als eine gut gepolsterte Zweiundvierzigerin durchgehen könnte, weil sich meine überflüssigen Kilos so schön gleichmäßig verteilt haben, aber trotzdem möchte ich ihren unverhüllten Anblick niemandem mehr zumuten. Außer Alfi natürlich, aber der hat sich daran gewöhnt, und außerdem habe ich sie letztendlich ihm zu verdanken!« Mit einem verhaltenen Lächeln blickte sie auf 's Meer, als könne sie von dort eine längst vergangene Zeit zurückholen. »Am Anfang unserer Ehe, als es jahrelang bloß zum Campingurlaub im Bayrischen Wald oder auch mal am Bodensee gereicht hat, wußte ich noch gar nicht, was Übergewicht eigentlich ist. Bei uns im Zelt gab's nur einmal täglich was Warmes und das möglichst billig, also abwechselnd Knorr und Maggi aus der Pappschachtel. In Tüten gab es die Fertigsuppen damals noch gar nicht. Jeden dritten Tag kam ein Paar kleingeschnittene Würstchen hinein, und nur sonntags wurde regelrecht geschwelgt, und zwar in Frikadellen mit Kartoffeln und Salat. Nachmittags fuhren wir mit den Rädern irgendwohin zum Kaffeetrinken, und dazu spendierte mir Alfi immer ein Stück Torte mit Schlagsahne.« Sie seufzte leise. »Und heute? Zweimal in der Woche haben wir Gäste, dreimal sind wir selber eingeladen, und am Wochenende gehen wir essen, weil das so schön bequem ist. Tortellini in Sahnesoße beim Italiener, Peking-Ente mit Drumherum beim Chinesen, zwischendurch mal etwas ganz Einfaches wie Schweinshaxe mit Knödel und Kraut oder ein Rahmgulasch mit Spätzle … Wenn die Anzeige auf der Waage wieder die Horrorgrenze erreicht hat, fährt Alfi zu seinem Geheimtip ins Allgäu und ernährt sich für teures Geld vier Wochen lang von trocknen Brötchen und saurem Wein. Ist das nicht komplett hirnrissig?« Fragend sah sie Tinchen an.
    Die nickte bloß und dachte an Frau Antonie, die im Laufe von mindestens fünfzig Jahren sämtliche gängigen Diäten erfolglos ausprobiert und noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben hatte, doch noch einmal auszusehen wie weiland Frau von der Marwitz aus der »Lindenstraße«. »Dabei hat sie doch oft schon morgens Champagner getrunken und abends mit diesem von Prießnitz in Pavarottis teurem Restaurant gegessen.«
    »Wissen Sie, wann ich mich endgültig zu einer dauerhaften Diät entschlossen habe?« unterbrach Frau Maier Tinchens Überlegungen. »Das war in dem Augenblick, als ich meinen siebenjährigen Enkel dem Nachbarsjungen drohen hörte: ›Meine Oma ist viel stärker als deine!‹ Seitdem halte ich mein Gewicht.«
    Während Tinchen pflichtschuldigst lachte, betrachtete sie unauffällig die neben ihr im flachen Wasser dümpelnde Fiffi. Fünfundfünfzig war sie, ein bißchen größer als Tinchen, ein kleines bißchen zu blond, was aber andererseits wieder genau zu dem runden Gesicht mit den lustigen blauen Augen und dem Grübchen neben dem rechten Mundwinkel paßte. Der raffiniert geschnittene dunkelgrüne Badeanzug kaschierte das leichte Übergewicht und unterstrich

Weitere Kostenlose Bücher