Hotel Mama vorübergehend geschlossen
daß ich meine Erziehung vergesse. Kommen Sie mit, Frau Maier?« Das alberne Fiffi erschien ihr in dieser Situation unpassend.
»Wer hat Sie eigentlich aus dem Urwald wieder rausgelassen?« Frau Maier funkelte ihn an, leerte ihr Glas und stand auf.
»Die Affen!« sagte Tinchen trocken. »Sie hatten Angst, er entwickelt sich wieder zu ihnen zurück.«
Die Nachmittage sollten der Kultur gehören, hatte Tinchen beschlossen, sofern sie in der Nähe lag und ohne größere Anstrengungen zu erreichen war. Dazu boten sich die alten, meist auf Hügeln im Hinterland gelegenen Plantagenhäuser an, in denen früher die weißen Zuckerbarone residierten. Manche von ihnen waren in feudale Ferienvillen umgewandelt worden, die man für teures Geld mieten konnte – einschließlich antikem Mobiliar, Butler und Blick aufs einige Kilometer entfernte Meer. Nach Besichtigung des dritten ›Great House‹ meinte Tinchen, nun reiche es (Florian hatte schon nach der zweiten Villa genug gehabt), die anderen beiden könne man sich sparen, und morgen nachmittag werde man sich mal sportlich betätigen. »Da wird eine Radtour angeboten, nur bergab, und enden tut sie in einem Botanischen Garten.«
»Wer irgendwo runterfahren will, muß ja erst mal raufgekommen sein«, war Florians logische Überlegung, »wir befinden uns jedoch auf Höhe des Meeresspiegels, also auf null Meter, und ich gedenke nicht, einen Berg zu besteigen, nur, um ihn hinterher auf einem vermutlich schrottreifen Rad wieder zu verlassen. Wer die jamaikanischen Autos kennt, kann sich ungefähr vorstellen, wie die Fahrräder aussehen …«
»Das sind nagelneue Mountainbikes, hat Steven gesagt, und auf den Berg werden wir mit dem Bus gefahren. Oben ist eine Service-Station, da werden die Räder auf unsere Körpergrößen eingestellt, ein Führer fährt mit und ein Begleitfahrzeug, falls jemand unterwegs schlapp macht.«
Das hörte sich eigentlich ganz verlockend an, fand Florian, doch das konnte er natürlich nicht zugeben. »Weißt du, wann ich zum letztenmal Rad gefahren bin?«
»Ich nehme an mit siebzehn«, vermutete Tinchen, »mit achtzehn hast du ja den Führerschein gekriegt. Aber keine Sorge, Radfahren verlernt man genausowenig wie Schwimmen.« Herausfordernd sah sie ihn an. »Trimm dich, spring mal über deinen Schatten!« Doch dazu war er erst bereit, nachdem auch Maiers ihr Mitkommen zugesichert hatten.
Der Bus war klein und leer, als er ankam, und dreiviertel voll, nachdem er vor dem fünften Hotel die letzten Radfahrer eingesammelt hatte. Dann bog er von der Küstenstraße ab auf eine gut ausgebaute Straße ins Hinterland, und von nun an ging es immer bergauf. Vierzig Minuten sollte die Fahrt maximal dauern, doch schon nach der halben Zeit war Schluß. Erst hatte das Handy des Fahrers gepiept – zu Tinchens Verwunderung schienen diese mobilen Telefone zur Grundausstattung eines jeden Mannes über sechzehn zu gehören und wichtiger zu sein als ein Paar vernünftige Schuhe oder ein T-Shirt, bei dem nicht der halbe Ärmel abgerissen war –, dann hatte er im nächsten Dorf neben einer Telefonzelle angehalten, ein kurzes und absolut unverständliches Gespräch geführt und danach seine Fahrgäste informiert, daß sie jetzt aussteigen und auf einen anderen Bus warten müßten, der jedoch schon unterwegs sei. Den Grund für dieses absonderliche Tun verschwieg er, vielmehr bestieg er wieder sein Gefährt und brauste unter Hinterlassung einer gewaltigen Staubwolke davon, genau in die Richtung, aus der sie eben gekommen waren.
Die Vermutungen über die Gründe dieses unerwarteten Aufenthalts variierten von »Wahrscheinlich wird die Straße noch steiler, und das schafft die alte Karre nicht mehr« bis zu »Wetten, daß man uns gehörig übers Ohr gehauen hat und wir heute abend noch hier stehen? Hat sich jemand zufällig die Autonummer gemerkt?«
Natürlich hatte das niemand, und die Prophezeiung, man werde sich wohl selbst um ein Transportmittel für den Rückweg kümmern müssen, schien sich gleichfalls zu erfüllen, denn von dem angekündigten Bus war auch nach anderthalb Stunden noch nichts zu sehen. Kommunikationsversuche mit den zahlreich herumstehenden Dorfbewohnern scheiterten an der Sprachbarriere, denn sie beherrschten offenbar nur das einheimische Patois, eine nahezu unverständliche Mischung aus Englisch und Afrikanisch, durchsetzt mit irischen und walisischen Elementen und hervorgesprudelt in einer Grammatik, die selbst sprachbegabte Europäer verzweifeln
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