Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Antoinette hatte nur abgewinkt und gesagt, dazu brauche sie nicht nach Jamaika zu fliegen, das könne sie auch zu Hause auf der Kö haben. Dann hatte sie sich zusammen mit Frau van Dahlen über die Karte gebeugt und die Entfernung zum Cockpit Country abgeschätzt, das man am nächsten Tag zu besichtigen gedachte.
Richtig begeistert war das Ehepaar van Dahlen gewesen, als Florian mit dem Vorschlag herausgerückt war, seine Schwiegermutter und deren Gesellschafterin unter ihre Fittiche zu nehmen. (Das mit der Gesellschafterin hatte sich zwar angehört wie aus dem vorigen Jahrhundert, doch ihm war so schnell nicht eingefallen, wie er die Symbiose Pabst-Klaasen-Knittelbeek hätte erklären sollen.) Das Ehepaar Dirlebach, bisher treuer Begleiter der van Dahlens, würde nämlich übermorgen abreisen müssen, den letzten Tag werde man zwar noch gemeinsam im Hotel verbringen, doch schon für Mittwoch sei eine Sumpf-Safari geplant mit Besichtigung von Krokodilen in freier Wildbahn, und wenn die Damen daran teilnehmen wollten …
Das wollten die Damen eigentlich nicht. Frau Antonie hatte etwas gegen Krokodile und nahm auch nur noch ganz selten ihre Kroko-Tasche, Geschenk von Ernst zu ihrem fünfzigsten Geburtstag, aber andererseits konnte man nicht gleich beim ersten Mal einen Rückzieher machen, zumal es ja sicher noch anderes zu sehen geben würde als diese gräßlichen Echsen.
Herr van Dahlen – er hörte auf den schönen Namen Bertram – war Oberstaatsanwalt, pensioniert natürlich, seine Frau Amelie – Betonung auf der ersten Silbe – töpferte ein bißchen und gehörte einem Literaturzirkel an, der alle vier Wochen zusammenkam und die Meinungen über die vorher zu lesenden Bücher austauschte. »Wir wollen uns keineswegs mit Herrn Reich-Ranicki und seinem Literarischen Quartett vergleichen«, hatte Frau van Dahlen milde lächelnd geäußert. »Doch wir haben immerhin schon einen gewissen Einfluß auf unsere Leihbücherei gewonnen.«
Frau Antonie hatte sich ihre Bettlektüre der letzten zwei Monate in Erinnerung gerufen, war jedoch zu der Ansicht gekommen, daß sie nicht literarisch genug gewesen war und mit einem leisen Bedauern in der Stimme erklärt, sie könne wegen ihrer angegriffenen Augen kaum noch ganze Bücher lesen. »Ich bin ja schon froh, wenn ich die Tageszeitung schaffe.«
»Deshalb brauchen Sie auf den Genuß eines guten Buches keineswegs zu verzichten«, hatte Frau van Dahlen erwidert. »Es gibt doch die Hörbücherei für Blinde.«
Tinchen hatte recht gehabt. Wenn sie und Florian morgens gegen neun Uhr in den Speisesaal kamen, hatten ihre Mutter und Frau Klaasen-Knittelbeek längst gefrühstückt und waren entweder schon weg oder warteten zusammen mit den van Dahlens auf den Bus beziehungsweise das Taxi, denn ihre manchmal sehr individuell zusammengestellten Touren lagen abseits der normalen Besichtigungsrouten. »Da wir uns den Fahrpreis teilen, ist das Taxi durchaus erschwinglich, und wir brauchen uns nicht an bestimmte Zeiten zu halten oder dorthin zu fahren, wohin wir gar nicht wollen«, hatte Frau Klaasen-Knittelbeek gesagt, »wer will denn schon das ehemalige Domizil von Errol Flynn sehen?«
Frau Antonie hätte es allerdings brennend interessiert, nur wagte sie nicht, diesen Wunsch laut zu äußern; angesichts des geballten Intellekts der van Dahlens wäre ihr diese Bitte zu banal erschienen. Ja, wenn Errol Flynn Bücher geschrieben hätte … Doch er war ja nur ein Filmschauspieler gewesen, nicht mal ein besonders guter, aber als kurz nach dem Krieg amerikanische Filme in die deutschen Kinos gekommen waren, hatte er als ›Robin Hood‹ und ›Herr der sieben Meere‹ die Frauenherzen so zum Schmelzen gebracht wie es heute Brad Pitt oder Leonardo DiCaprio taten. Auch Frau Antonie war dahingeschmolzen, allerdings nur so lange, bis Ernst gekommen war. Der hatte zwar nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Leinwandhelden gehabt, dafür war er realer gewesen.
Statt Errol Flynn also die Governor's Goach Tour, eine Eisenbahnfahrt im ehemaligen Salonwagen des Gouverneurs. Mit Calypso-Kapelle und gut bestückter Bar ging es ins Landesinnere, an besonders malerischen Plätzen wurden für Hobbyfotografen und -filmer Stopps eingelegt, doch Höhepunkt dieser Exkursion war die Besichtigung der Appleton-Rum-Distillery, aus der man, falls nicht schon vom Geruch betüdelt, spätestens nach den reichhaltigen Kostproben mittelschwer bis total hinüber wieder herauskam. An jenem Tag saßen Florian und
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